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Die folgenden Gedanken beruhen auf von uns allen erfahrbaren Realitäten im Zusammenhang mit unserem Menschsein. Wir wollen daran erinnern, dass unsere tiefsten Absichten und Sehnsüchte auf ein letztendliches Ziel hinweisen, welches alles zur Erfüllung bringen kann. Wir erleben unser Leben als ein ständiges Suchen. Jedes irdische Ziel aber kann uns bestenfalls vorübergehende Erfüllung schenken. Dieser Umstand erklärt sich am besten, wenn wir ein letztendliches Ziel annehmen. Erreicht der Mensch dieses nicht, können ihm auch die „provisorischen“, d. h. irdischen Ziele keine Erfüllung geben. Deshalb nehmen wir auch an, dass dieses letztendliche Ziel außerhalb dieser Welt liegt.
1 Ziel des Lebens, Freude, Verlangen nach Erfüllung
Jeder Mensch streckt sich jeden Tag nach Dingen aus, die er für wichtig hält. Jugendliche streben nach Erfolg beim Studium, Erwachsene wollen genug Geld verdienen, um für sich und die Familie sorgen zu können. Einige investieren viel Zeit und Energie, um die Wissenschaft voranzubringen, oder wollen sich für das Wohl der Gesellschaft auf anderen Gebieten einsetzen. Das sind alles gute Dinge, doch was ist ihr letztendlicher Sinn? Obwohl die Menschen davon ausgefüllt sein können und Zeiten der Freude daran erleben, können diese Dinge weder völlige Erfüllung noch Sicherheit bieten. Ein Erdbeben kann in einem Augenblick alles, was ein Mensch in vielen Jahren aufbaute, zerstören. Der Tod eines geliebten Menschen kann jemanden in Depressionen stürzen. Es gibt unzählige Fälle, in denen der Mensch mit der Endlichkeit seines Lebens und der irdischen Dinge konfrontiert wird.
Manche meinen, Unterhaltung, Belustigung und Vergnügen wären der eigentliche Sinn im Leben; doch jeder ehrliche Mensch erkennt, dass dieses Denken und dieser Lebensstil ins Leere und zum Verlust der wirklichen Werte im Leben führt. Diese Ideologie bietet den besten Nährboden für Lasterhaftigkeit, Zügellosigkeit und Aggressivität. Dies ist mit Sicherheit ein Irrweg.
Jedermann besäße gern einen festen Grund, auf dem er jederzeit den richtigen Halt fände. Welcher kann das sein? Jesus Christus sagt:
Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motten und Rost fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen …
Auch wenn jemand diesen Jesus nicht als Gottes Sohn betrachten kann, kann er doch sehen, dass dieses Wort sehr gut zur Wirklichkeit passt. Wie viele Menschen, die immens reich und obendrein noch berühmt waren, begingen Selbstmord? Wie viele setzten ihr Hoffnung auf andere Menschen und wurden zu Wracks, nachdem sie von jenen bitter enttäuscht wurden? Was überhaupt kann der Mensch in dieser Welt finden, das ihm völlige Sicherheit geben könnte? Wer kann befriedigende, gute Antworten auf die größten Fragen der Menschheit geben? Jesus setzt seine Aussage fort:
… sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. … Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere dazu gegeben werden. (Matthäus 6,19–34)
Jeder Mensch hat einen gewissen Wunsch, das Ziel seines Lebens zu finden. Wenn auch viele dies verdrängen wollen, scheinen die Menschen doch Erfüllung, Freude und Liebe zu suchen. Diejenigen, die ihr Ziel nicht finden versinken in sich selbst. Somit ist das Verlangen nach Fülle ein natürliches menschliches Bedürfnis, welches aber logischer – und praktischerweise unmöglich zu befriedigen wäre, wenn es nicht etwas oder jemand gäbe, das oder der diese Fülle in sich selbst besitzt. Da, so weit wir wissen, der Mensch das Wesen mit dem höchsten Entwicklungsgrad im Kosmos ist, können wir von vornherein eine Erfüllung durch materielle Dinge ausschließen, da diese geringeren Niveaus sind. Natürlich können wir an anderen Menschen oder auch an Dingen Freude finden. Diese Freude kann von ihrem Wesen her aber nur provisorisch und nicht umfassend sein, denn selbst Menschen können mir diese letztendliche Fülle nicht geben, da sie auf gleicher Stufe wie ich stehen und mit den gleichen Nöten kämpfen wie ich. Jedes Suchen nach dauerhafter Erfüllung in diesen materiellen Dingen oder Menschen ist ein fataler Selbstbetrug. Dagegen ist die Existenz eines absoluten Wesens, welches alle Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen vermag, eine grundsätzliche Notwendigkeit für das Leben.
2 Das generelle Bedürfnis des Menschen nach Liebesbeziehung
Gemäß der Sozialphilosophie (z. B. Martin Bubers) ist Beziehung, d. h. Offenheit und Liebe zu anderen Menschen, ein Grundbedürfnis des Menschen. Liebe ist der tiefste Ausdruck des Wesens unserer Persönlichkeit. Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Er kann alle Möglichkeiten seiner Natur nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere nutzen. Dafür ist die Beziehung „ich und du“ unabdingbar. Vor allem unser Sehnen nach dem anderen und die Hingabe an ihn formt in uns den Sinn für Verantwortung und richtiger Einschätzung des anderen und uns selbst. Indem wir in Beziehung mit dem anderen treten, erlangen wir Selbstreflexion, Selbstbeurteilung, Selbstbewusstsein. Da wir Gemeinschaft mit anderen brauchen, sind Selbstgenügsamkeit und Zurückgezogenheit die größten Hindernisse in der Persönlichkeitsentwicklung. Selbstsucht dient mir nur scheinbar, denn wenn ich die Bedürfnisse des anderen nicht beachte, wenn ich nicht lerne, zugunsten des anderen zu verzichten, wenn ich grundsätzlich misstrauisch bin, dann isoliere ich mich selbst und finde nicht, was ich doch in gewisser Weise suche: Erfüllung meiner selbst. Wer also für sich selbst lebt oder Macht über andere gewinnen will, kann nicht frei sein, denn nur dem anderen zu dienen kann befreien. Nur durch Hingabe finden wir Zufriedenheit in unserem Leben.
Doch sieht der Mensch immer seine Grenzen, dass er vollkommene Liebe weder empfangen noch geben kann. Wir erfahren ständig, dass unsere Fähigkeit, den anderen mit all seinen Nöten und Eigenheiten zu lieben, sehr begrenzt ist. Oft übersteigt die dafür nötige Kraft unser Vermögen. Dies ist auch wichtig zu erkennen, damit wir den anderen nie als ein Werkzeug zur Erfüllung unserer eigenen Wünsche betrachten. Auch endet die Liebe, die wir von einem anderen Menschen empfangen, spätestens mit dessen Tod. Deshalb kann unser natürliches Bedürfnis, vollkommene und ewige Liebe zu empfangen, nur von einem ewigen, vollkommenen Wesen erfüllt werden, das selbst Quelle unerschöpflicher Liebe ist. Je näher jemand dieser Quelle ist, um so fähiger wird er, zu lieben, wie er von ihr empfängt. Wenn jemand davon erfüllt ist, wird er auch andere vollkommen lieben können.
3 Der Wunsch nach Gerechtigkeit
Jeder hat ein natürliches Gerechtigkeitsempfinden. Dies wird leicht sichtbar durch die Tatsache, dass die schlechten, bösen Taten von anderen, von „Feinden“, sehr streng beurteilt werden. Wir sind unseren „Feinden“ gegenüber üblicherweise viel sensibler als gegen uns selbst. So haben selbst sehr egoistische Menschen den ( durchaus berechtigten) Wunsch, gerecht behandelt zu werden.
Nun wollen Evolutionisten dieses Phänomen als Resultat des gemeinschaftlichen Lebens der Spezies „Mensch“ erklären, da es im Kollektiv von Vorteil sei, gerecht zu sein. Aber erstens kann sich der Gerechtigkeitssinn nicht einfach „entwickeln“. Da gibt es eigentlich nicht ein Mehr oder Weniger. Es scheint auch wenig sinnvoll anzunehmen, dass sich die Menschheit in einem frühen Stadium dafür entschied, gerecht zu sein, was dann in der Folge auf die Nachkommen übertragen wurde. Solche Erscheinungen können nicht vererbt werden, sondern jeder Einzelne muss sich entscheiden, gerecht zu sein. Zweitens ist Gerechtigkeit keine Frage des Vorteils für mich oder andere. Eine gerechte Tat geschieht nicht aus Berechnung. Wie kann nun unser Wunsch nach Gerechtigkeit erfüllt werden?
In unserer Welt gab es immer viel Ungerechtigkeit und es wäre unrealistisch zu denken, dies würde sich völlig ändern. Auch der Kampf mancher Politiker, Humanisten oder religiöser Menschen um Gerechtigkeit befriedigt uns nicht, da immer nur eine bruchstückhafte Gerechtigkeit erstrebt und erreicht wird. Wirklich allumfassende Gerechtigkeit, die darüber hinaus für alle gültig ist, ist auf dieser Welt nicht zu finden. Ist nun also dieses Verlangen nur eine sinnlose, weil nie erfüllbare, Eigenschaft des Menschen oder ist es nicht gerade ein Hinweis auf ein transzendentes Wesen, welches dies für immer gewähren kann?
4 Schönheit und Harmonie
Wenn der Grund für das Entstehen des Kosmos und des Menschen nur in der Abfolge bestimmter extrem selten vorkommender Ereignisse läge, woher kämen dann Schönheit und Harmonie? Warum besitzt der Mensch Eigenschaften und Fähigkeiten, welche vom Standpunkt des Überlebenskampfes und der Erhaltung der Art völlig unnötig sind? Woher kommen künstlerische Gaben, Dichtkunst und Musik? Wenn das Leben letztlich doch nur ein grausamer Kampf ums Überleben wäre, warum sind dann solche Dinge entstanden und warum haben sie überlebt?
Ein Kind, das gern und hervorragend malte, setzte sich eines Tages in sein Zimmer und begann, eine schöne Landschaft zu malen. Nachdem es viele Stunden mit Pinsel, Leinwand und Farben umgegangen war, wurde es müde, ging nach draußen, erblickte den Himmel und die Bäume und rief spontan: „Oh ja, dies ist viel schöner als was ich male oder je malen werde. Wer ist nur der Maler all dieser Dinge?“
Der Mensch hat einen natürlichen Wunsch nach Schönheit, welche das Vollkommene, das Ideale widerspiegelt. Schön ist, was dem Vollkommenen, dem Idealen nahe kommt. Der Rhythmus der Proportionen, Linien, Farben, Klänge hat keinen materiellen oder biologischen Wert in sich, und selbst wenn es damit verbunden wäre, lieben wir all das doch aus anderen Gründen. Wir freuen uns, Schönes zu sehen, weil es uns der unendlichen Schönheit näher bringt, welche wir uns wünschen und die wir lieben. Wir mögen es, das Wellenspiel am Meer oder die hohen Berge zu sehen, denn es lässt uns etwas von Größe, Unendlichkeit, Majestät erahnen. Die anziehende Kraft der Schönheit leitet uns zur unendlichen Quelle der Vollkommenheit, bei der unser Verlangen gestillt werden kann.
Die Expedition, welche von Ralph Solecki von der Columbia University geleitet wurde und in die zerklüftete Landschaft des Zagross‐Gebirges führte, grub 1960 in der Shanidar‐Höhle die Knochen eines vor 60.000 Jahren verstorbenen Neandertalers aus. Seine Begräbnisstätte war in besonderer Weise bereitet: Er ruhte auf einem aus Bündeln hölzerner Schachtelhalmzweige hergestellten Bett. Girlanden aus Schafgarbe, Stockrosen, Hyazinthen, Kornblumen und anderen Blumen waren um die Füße des Bettes gewoben. Solecki schrieb über dieses Blumenbegräbnis:
Plötzlich wurden wir gewahr, dass die Vielseitigkeit der Menschheit und die Liebe zur Schönheit weit über die Grenzen unserer eigenen Spezies reichen. … Wir können nicht länger leugnen, dass die frühen Menschen die volle Bandbreite menschlicher Gefühle und Erfahrungen hatten.1
Hier soll nur angemerkt werden, dass die Frage, ob der Neandertaler eine eigene Art oder eine Unterart des Homo sapiens ist, wissenschaftlich umstritten ist.
5 Die Moral (Das Argument aufgrund des Gewissens)
Warum gibt es die Moral und ein generelles Verlangen nach Gutem im Menschen? Warum gibt es das Gewissen?
Es gibt ein objektives moralisches Gesetz
Auch wenn manche Menschen sich dessen nicht bewusst sind und andere es bewusst nicht zugeben, dass es ein universales moralisches Gesetz gibt, stimmt doch jeder einigen grundsätzlichen moralischen Prinzipien zu, die für uns sowohl als Individuen als auch für die Gesellschaft notwendig sind. Zwar ist es richtig, dass es immer gewisse Unterschiede bezüglich dieser Prinzipien gab; die Übereinstimmungen waren aber allezeit wesentlich größer. Wenn jemand die moralischen Lehren verschiedener Kulturen und Epochen vergleicht, wird er die weitgehenden Ähnlichkeiten zwischen diesen und mit unserem heutigen Verständnis feststellen.
C. S. Lewis beweist in seinem Buch „The Abolition of Man“, dass die alten Ägypter, Babylonier, Hindus, Chinesen, Griechen und Römer sehr ähnliche moralische Ansichten hatten. Keine dieser Kulturen verehrte verräterische, betrügerische oder selbstsüchtige Menschen. Es gab unterschiedliche Ansichten bezüglich der Anzahl von Ehefrauen, doch nie wurde Ehebruch glorifiziert oder als Tugend betrachtet. Nirgendwo war Mord erlaubt, ja nicht einmal unter Kannibalen darf man einfach töten, wen man will. Die Tatsache, dass eines der vorrangigsten Ziele der Nazis die Ausrottung bestimmter Völker war, zeigt nicht, dass auch dies ein Teil des natürlichen Gesetzes ist. Vielmehr deutet die doch ziemlich einhellige Verurteilung dieses Massenmordes auf eine „höhere“ Wahrheit hin, der wir alle unterworfen sind und nach der wir alle gerichtet werden.
Schauen wir uns die Entwicklung dieses inneren Gesetzes in einem Menschen an. Diese Entwicklung des Gewissens ist von Kindheit an beobachtbar. Sie wird von verschiedenen Dingen (wie Umwelt und Erziehung) beeinflusst, von denen aber die persönliche Entscheidung am stärksten zu Buche schlägt. Der Mensch ist fähig, sein Gewissen zu leugnen, und jede solche Entscheidung „bearbeitet“ sein inneres Gesetz. Damit beeinflusst er aber auch, auf welche Dinge und in welchem Maße das Gewissen reagiert. Dies ist der Hauptgrund für die Unterschiede in der Weise, wie Menschen moralisch‐ethisch beurteilen und nicht, wie immer stärker behauptet wird, das Fehlen eines allgemeinen Ausgangspunktes. Diese Reinheit des Gewissens existiert und wird bestimmt von dem moralischen Gesetz in uns. Jedermann erfährt den verpflichtenden Charakter der Stimme dieses inneren Gesetzes. Wenn der Mensch nicht danach handelt, so weiß er doch, „wie es sein sollte“, „was gut wäre“ oder „wie es gut gewesen wäre“. Diese inneren Warnungen haben höhere Autorität, weil sie mir das Richtige vor Augen führen, selbst wenn ich es mir nicht gefällt. Die Beurteilung durch die Stimme des Gewissens ist vor, während und nach unseren Taten gegenwärtig, indem sie uns anklagt oder auch rechtfertigt. Dieser unbedingt verpflichtende Charakter dient unserer Erziehung. Wir werden in unseren subjektiven Abweichungen, die wir durch unsere schlechten Motive und Entscheidungen hervorbringen, korrigiert und zur objektiven Reinheit und dem höchsten Gut zurückgeführt – vorausgesetzt wir wollen das. Durch diese Aufgabe zeigt sich, dass sein Ursprung außerhalb von uns liegt und wir zu diesem Ursprung, der absoluten Wahrheit und Objektivität, geführt werden sollen, auch wenn sich das persönliche Gewissen im Laufe der Zeit auf Grund der oben genannten Umstände ändert.
Was kann die Quelle des objektiven moralischen Gesetzes sein?
Kann das Gewissen nur das Produkt unserer Erziehung und der Umwelteinflüsse sein? Wäre dem so, müsste unsere moralische Orientierung notwendigerweise immer von der unserer Eltern bestimmt sein, da dies sicher der größte aller Einflüsse ist. Aber die Kinder denken und handeln bei weitem nicht immer wie ihre Eltern. Glücklicherweise können wir auch unter den Jugendlichen der modernen Gesellschaft einige sehen, die nicht den verschiedenen Formen der Morallosigkeit zum Opfer fallen, sondern diesem Irrweg zu entkommen suchen. Dies wäre unmöglich, wenn das Gewissen nur das Resultat der jeweiligen Familien – und Gesellschaftssituation wäre. Damit wollen wir nicht deren Einfluss auf das Gewissen leugnen, sondern zeigen, dass diese Art von Herkunftserklärung eine unsachliche Vereinfachung einer komplizierten Frage ist.
Wir wollen hier gar nicht auf die materialistischen Erklärungsversuche für die Herkunft der inneren Stimme eingehen. Es sei genug, auf die grundsätzlichen Meinungen von Nobelpreisträgern und anderen Experten auf diesem Gebiet zu verweisen, die die enorme Lücke sehr wohl erkennen, die zwischen dem menschlichen Gewissen einerseits und selbst den höchsten Formen von Instinktkombinationen in der Tierwelt andererseits klafft. Da dieser riesige Unterschied nicht einfach eine Sache verschiedener Entwicklungsgrade derselben Eigenschaften, sondern einzigartig neuer Qualitäten ist, muss die Lösung der Herkunftsfrage anderswo gesucht werden. Einige Zitate berühmter Wissenschaftler haben wir gesondert unter Wissenschaftler über den Geist aufgeführt.
Wenn nun die Herkunft und das Wesen des moralischen Gesetzes weder durch evolutionäre Prozesse der materiellen Welt noch durch individuelle und gesellschaftliche Einflüsse gleich welcher Art erklärt werden kann, muss es eine Quelle außerhalb dieser Welt haben. Diese Quelle ist sozusagen der „Gesetzgeber“, der von seinem Wesen her in vollkommener Übereinstimmung mit den Gesetzen ist, die er gibt. Diesen vollkommenen, höchsten und personalen Gesetzgeber nennen wir Gott.
Weitere auf der Moral fußende Argumente
In der Spätphase seines Lebens verwarf Immanuel Kant die traditionellen Gottesbeweise und betrachtete die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele nicht mehr als Dinge der Vernunft, sondern des Glaubens, da sie auf die Sinneswahrnehmung beschränkt seien. Er wollte nur noch das Argument der Moral gelten lassen und dies auch in anderer Weise, als es oben ausgeführt ist, nämlich dass das Ziel aller Menschen vollkommenes Glück sei und dass demzufolge ein jeder das „summum bonum“ (das höchste Gut) suchen solle, indem er dem Gesetz der Moral gehorsam sei. Der endliche Mensch jedoch kann nicht erfüllendes Glück allein durch einen hochmoralischen Lebensstil finden; deshalb ist die Existenz Gottes, der uns nach dem Tod mit Vollkommenheit belohnt, eine Notwendigkeit.
Das Argument von der Verdammung in Peter Bergers „A Rumor Of Angels“ kann man zurecht die negative Version des Beweises anhand der Moral nennen. Der Grundgedanke liefert gute Denkanstöße (wenngleich eine positive Grundeinstellung beim Leser vorausgesetzt wird), nämlich dass jeder erhalten muss, was er verdient. Demgemäß können die unsagbaren Grausamkeiten, die durch Sklaverei, Völkermord, Holocaust usw. verübt wurden, nicht einfach durch irdische Strafen „aufgewogen“ werden. Es müsse also eine übernatürliche Verdammung geben, sonst gäbe es keine wirkliche Gerechtigkeit.
6 Der freie Wille des Menschen
Freiheit des Willens bedeutet Denken und Handeln aufgrund eigenen Ermessens gemäß der Eigenverantwortlichkeit ohne äußeren Zwang. Wir können sagen, dass die Freiheit der Gedanken und Entscheidungen durch kein moralisches, biologisches, chemisches oder physikalisches Gesetz bestimmt wird und somit durch keine Formel beschrieben werden kann. Im Gegensatz zur sonstigen Materie, deren „Handeln“ ja immer gemäß der ihr gegebenen Bestimmungen geschieht, ist der Mensch fähig, aus einer Fülle von Möglichkeiten heraus seine eigenen, bewussten Entscheidungen zu fällen. Er kann seine Fähigkeiten entwickeln und sogar gezielt gegen seine Instinkte, Eigenheiten und Veranlagungen handeln. Darüber hinaus vermag er sich die materielle Welt sowohl in guter wie auch in schlechter Weise dienstbar zu machen. Selbst Eingriffe in die Gesetze der Natur sind ihm nicht unmöglich, freilich oft mit verheerenden Folgen. All dies zeigt in überdeutlicher Weise, dass die Eigenschaften menschlicher Intelligenz und menschlichen Willens in völligem Gegensatz zur Charakteristik der Materie stehen. Dies wiederum macht es offensichtlich, dass der Grund für die Entstehung der Willensfreiheit nicht der Materie innewohnen kann, die doch völlig unfähig ist, vernünftig und zweckorientiert aus sich selbst heraus zu handeln. Der Urheber der Intelligenz und des Willens muss diese Eigenschaften selbst besitzen und auch fähig sein, sie weiterzugeben. Das schließt notwendigerweise seine Personenhaftigkeit ein, da diese Eigenschaften nur mit Personen verbunden werden können.
7 Der Dynamismus des Menschen (Sehnsucht nach Unendlichkeit)
Erscheinungen von gewisser Bewusstheit in der Tierwelt sind immer das Resultat innerer und äußerer Informationen des Augenblicks. Das Leben und das Interesse der Tiere werden ganz bestimmt und erfüllt durch den Rahmen, in dem sie sich bewegen. Das menschliche Selbstbewusstsein aber wird nicht nur durch Instinkte oder Informationen von außen hervorgerufen, was man an einer ganzen Reihe von geistigen Aktivitäten sehen kann.
Das Leben des Menschen ist durch die unbegrenzte Offenheit und Freiheit der Erkenntnis und des Strebens gekennzeichnet. Er interessiert sich nicht nur für das gerade Anstehende seines eigenen Alltags, sondern er hat grundlegende Fragen, ja gerade auch bezüglich des „Woher und Wohin“ seiner selbst und der existierenden Welt überhaupt. Fragen wie „Woher kommt die Welt?“, „Was ist die Wahrheit und kann ich sie finden?“ und „Worin liegt der Sinn unseres Daseins?“ zeigen, dass der menschliche Geist bestrebt ist, die Totalität des unendlichen Seins zu verstehen. Er übersteigt damit die irdische Sinnes‐ und Begriffswelt und will das Sein an sich erfassen. Dem Menschen ist das Verlangen gegeben, aus den Grenzen von Raum und Zeit auszubrechen. Er kann im Geist (d. h. in Gedanken) an jedem beliebigen Punkt von Zeit und Raum dieser Welt sein, was auch zeigt, dass dieser Geist nicht nur von Materie abhängig ist. Diese geistigen Aktivitäten sowie deren intellektuelle Ausrichtung und Motivation gehen weit über das Maß unserer endlichen Welt hinaus; sie sind auf eine unendliche und vollkommene Wirklichkeit ausgerichtet.
Diese ganz natürliche Fähigkeit, dieses Streben des Menschen muss ein Ziel, ein Objekt außerhalb unserer Sinneserfahrungswelt haben, sonst wäre all dies grund‐ und sinnlos. Wie könnte der Mensch auch überhaupt Endlichkeit und Unvollkommenheit erkennen, wenn Unendlichkeit und Vollkommenheit gar nicht existierten?
8 Der Wunsch nach Unsterblichkeit
Das Leben ist eine große Überraschung. Ich verstehe nicht, warum der Tod nicht eine noch viel größere sein sollte. – Vladimir Nabokov
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, welches sich seines Todes bewusst ist. Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist zumindest so alt wie die menschliche Zivilisation. Schon in den frühesten Kulturen rüsteten die Menschen ihre Toten für das Leben in der anderen Welt aus. Zwar hatten die verschiedenen Stämme und Völker unterschiedliche Begräbnisriten, doch reflektieren all diese einen Glauben an die Existenz nach dem Tod. Es ist daher folgerichtig anzunehmen, dass dieser Glaube sehr eng mit dem Wesen des Menschen verbunden ist und es dafür wirkliche Gründe gibt. Dass heute viele Menschen die Vorstellung einer Auslöschung so leicht akzeptieren, hängt eher mit wenig Nachdenken als mit tiefer Überzeugung zusammen. Nehmen wir dagegen die Existenz der unsterblichen Seele an, so kann diese nie das Produkt evolutionärer Prozesse sein (welche nur zu mehr oder weniger kurzlebigen Dingen führen), sondern wir setzen damit einen unsterblichen Schöpfer voraus.
9 Das Argument aufgrund der allgemeinen Übereinstimmung
Die Vorstellung der Existenz einer Art übergeordneter Autorität – das bedeutet Religiosität – hat nachweislich die Geschichte der Menschheit über Jahrtausende, von der frühesten Zeit bis heute, begleitet. Der Glaube an Gott konnte von vielen radikalen sozialen, kulturellen oder ideologischen Veränderungen weder widerlegt noch abgeschafft werden. Wie konnte eine absolut grundlose und irreale Annahme trotz all dieser Wandlungen überleben?
Leider gab es zu jeder Zeit mannigfaltige Formen völlig entstellter Religiosität und des Aberglaubens. Viele Völker akzeptierten Polytheismus, Dualismus, Pantheismus und andere irrige Vorstellungen. All diese Erscheinungen aber widerlegen nicht das Argument der allgemeinen Übereinstimmung, denn hierbei geht es nicht darum, wie das genaue Verständnis der Gottheit und des Glaubens der verschiedenen Völker ist, sondern dass es einen allgemeinen Glauben an die Existenz eines oder mehrerer überweltlicher Wesen gibt, von dem oder denen die materielle Welt einschließlich der Menschheit abhängig ist. Selbst wenn also Menschen ihre Erkenntnis verdrehten, kann doch die allgemeine, sich im Keim befindliche Wahrheit ihrer Vorstellungen nicht anders erklärt werden, als dass es sich um den Konsens des natürlichen, gesunden Menschenverstandes aufgrund der vorhandenen Beweise handelt.
Obwohl es zahlreiche Erklärungen für die Herkunft und die weltweite Verbreitung der Religion gibt, stimmen Anthropologen und Philosophen bezüglich des o.g. Konsenses der Menschheit überein. Zudem gibt es einige positive Gründe für die Annahme, dass die ursprüngliche Religion der Menschen eine Art Monotheismus war, welcher dann im Verlauf der Geschichte immer wieder dem Verfall ausgesetzt war. Aber auch wenn dieser Ausgangspunkt in vielen Fällen sehr im Dunkel liegt, konnte doch der Kern der ursprünglichen Wahrheit nicht völlig unkenntlich gemacht werden.
Dies kann man im Falle des Atheismus überhaupt nicht sagen. Die Geschichte beweist, dass die atheistische Philosophie eine „moderne Errungenschaft“ ist, welche nicht als charakteristisch für die menschliche Gesellschaft gelten kann, sondern eher als eine abnormale Reaktion relativ weniger Menschen gewertet werden muss. In gegenwärtiger Form ist der Atheismus eng verknüpft mit der plötzlichen und intensiven Verbesserung der Kenntnisse über die Natur durch die Wissenschaft im letzten Jahrhundert. Trotz der wirklich beachtlichen Ergebnisse dieser Zeit muss doch ehrlicherweise anerkannt werden, dass die größten Fragen des Lebens noch offen sind.
Aus den Schriften vieler sogenannter Atheisten der Antike können wir eher deren Ablehnung des (auch damals vorhandenen) Missbrauchs der Religion und ihr Eintreten für die Vernunft erkennen, als dass sie sich gegen die Existenz der Gottheit richteten. In den Fällen, in denen ihre Gedanken wohlbegründet und auf höhere Ziele wie z. B. das Aufdecken der Wahrheit oder das Erstreben eines besseren Lebens ausgerichtet waren, betrachten wir es als eine bewundernswerte Tugend, dass die Nonkonformisten nicht dem Zeitgeist und den Ansichten der großen Mehrheit folgten. Das ist aber nicht der Fall des Atheismus, viele Beispiele zeigen eher das Gegenteil. Daher können weder die antiken noch die modernen Gegner der Religion den Glauben entwurzeln, welcher so tief in des Menschen Herz verankert ist.
10 Was sagen Wissenschaftler über den menschlichen Geist? Ist der menschliche Geist nur das Resultat der Evolution der Materie?
Einige materialistische Wissenschaftler erklären die höchsten geistigen Prozesse einschließlich des Selbstbewusstseins nur als Resultat von biochemischen Reaktionen. Sie werden Reduktionisten genannt, weil sie die gesamte Realität auf die Ebene von materiellen Prozessen reduzieren. Es gibt aber viele andere Experten der Wissenschaft, welche nicht zu dieser Kategorie gehören, welche sich der Grenzen der Wissenschaft bewusst sind und so wie John C. Eccles, Gewinner des Nobelpreises für Neurologie, über „Wunder und Geheimnis des menschlichen Selbst mit seinen spirituellen Werten, seiner schöpferischen Kraft und der Einzigartigkeit, mit der es jeden Einzelnen von uns begabt“ sprechen.2
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