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Die Neue Welt Übersetzung – Problem der Übersetzungsmethode. Wie die Lehre der Zeugen Jehovas die Formulierungen in der NWÜ beeinflusst. Erste Beispiele: Himmlische und irdische Hoffnung der Gläubigen. Die Lehre über den Heiligen Geist
Inhaltsverzeichnis
1 Die Übersetzung der Heiligen Schrift – eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe
Wir zitieren aus dem Vorwort der NWÜ:
Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die Heilige Schrift aus ihren Ursprachen, Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, in eine zeitgemäße Sprache zu übertragen. Die Heilige Schrift zu übersetzen bedeutet, die Gedanken und Aussprüche Jehova Gottes – des himmlischen Autors dieser heiligen Bibliothek von 66 Büchern, die heilige Männer vor langer Zeit unter Inspiration zu unserem Nutzen niedergeschrieben haben – in einer anderen Sprache wiederzugeben.
Das ist ein ernststimmender Gedanke. Die Übersetzer dieses Werkes, die Gott, den Urheber der Heiligen Schrift, fürchten und lieben, fühlen sich ihm gegenüber besonders verantwortlich, seine Gedanken und Erklärungen so genau wie möglich zu übermitteln. Auch fühlen sie sich dem forschenden Leser gegenüber verantwortlich, der zu seiner ewigen Rettung auf eine Übersetzung des inspirierten Wortes Gottes, des Höchsten, angewiesen ist.1
Mit diesen Worten weisen die Herausgeber auf den Maßstab hin, an dem ihr Werk zu prüfen ist. Sie wollen die „Gedanken und Erklärungen Gottes so genau wie möglich übermitteln“. Die Wachtturm‐Gesellschaft hat auch dem des neutestamentlichen Griechisch nicht kundigen Leser mit der „Kingdom Interlinear Translation of the Greek Scriptures“ (kurz KIT) ein Werkzeug in die Hand gegeben, mit der die NWÜ geprüft werden kann. In diesem Werk2 befinden sich der griechische Text nach Westcott und Hort und darunter eine möglichst wörtliche Interlinear‐Übersetzung. Am Rand wird die englische New‐World‐Translation nach der Revision von 1984 wiedergegeben. Somit hat der Leser die Möglichkeit zu einer Überprüfung der englischen New‐World‐Translation, auf deren Grundlage alle weiteren Übersetzungen angefertigt wurden. Wir werden in dieser Abhandlung die KIT zur Beurteilung der einzelnen besprochenen Stellen heranziehen. Englischkenntnisse sind daher hilfreich, aber nicht unbedingt erforderlich. Bei den meisten Stellen werden wir zuerst die deutsche NWÜ zitieren, dann ein Faksimile aus der KIT einfügen und zur Ergänzung noch die Version der Revidierten Elberfelder Übersetzung (ELB) bringen, welche auch nicht vollkommen ist, aber sich um eine möglichst wörtliche Übersetzung bemüht, bevor wir unsere Gedanken dazu schreiben.
Wir sind uns dessen bewusst, dass es keine leichte Aufgabe ist, die Bibel zu übersetzen, und dass es eine perfekte Übersetzung nicht geben kann. Wir betrachten es daher nicht als unsere Aufgabe, den Stil der Übersetzung oder Ungenauigkeiten zu kritisieren, die entstehen können, wenn man eher einen Gedanken korrekt wiedergeben will, als am Wortlaut festzuhalten. Wir wollen aber ein besonderes Augenmerk auf Zusammenhänge mit der Lehre der Wachtturm‐Gesellschaft richten.
2 Zur Übersetzungsmethode
Bei allen modernen Übersetzungen ist es selbstverständlich, dass sie möglichst direkt aus den aufgrund der ältesten und besten vorhandenen Handschriften wissenschaftlich erarbeiteten hebräischen, aramäischen und griechischen Textausgaben übersetzen. Besonders bei den heiligen Schriften des Volkes Israel werden häufig zusätzlich auch die schon vor Christus entstandene „Septuaginta“ genannte Übersetzung ins Griechische und auch andere antike Übersetzungen herangezogen. Nur die Katholiken hatten in der Vergangenheit ihre Übersetzungen aus der „Vulgata“ genannten lateinischen Übersetzung angefertigt, die vom Konzil von Trient für authentisch erklärt worden war. Neuere katholische Bibelausgaben, wie etwa die deutsche Einheitsübersetzung, wurden aber direkt aus den Ursprachen übersetzt.
Die Wachtturm‐Gesellschaft hingegen hat nur eine einzige Übersetzung direkt aus den Ursprachen angefertigt, nämlich die englische „New‐World‐Translation“. Die Übersetzung in alle anderen Sprachen erfolgte nicht aus den Ursprachen, sondern wurde, wie es auf dem Titelblatt der Textausgabe heißt:
Übersetzt nach der revidierten englischen Ausgabe 1984
unter getreuer Berücksichtigung der
hebräischen, aramäischen und griechischen
Ursprache
Jede Doppelübersetzung ist zugleich eine Verdoppelung der Fehlerwahrscheinlichkeit. Wenn die Wachtturm‐Gesellschaft trotzdem diesen Weg gewählt hat, dann legt sich nahe, den Grund darin zu suchen, dass nur auf diesem Weg gewährleistet werden konnte, dass die im englischen Text vorgegebene dogmatisch „richtige“ Version auch in die anderen Sprachen übertragen wird.
Es ist gewiss aufwendiger, wenn sich Übersetzer die Mühe einer jahrelangen intensiven Beschäftigung mit den biblischen Sprachen auf sich nehmen, um fähig zu sein, den Text möglichst genau zu übersetzen. Wenn eine Gemeinschaft aber Wert auf eine eigene Bibelübersetzung legt, muss das diesen Aufwand wert sein, auch für die nicht‐englischen Übersetzungen.
3 Zur himmlischen und irdischen Hoffnung
(Siehe dazu unsere Abhandlung zu diesem Thema)
Hebräer 11,16:
NWÜ: Jetzt aber streben sie nach einem besseren [Ort], nämlich einem, der zum Himmel gehört. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, als ihr Gott angerufen zu werden, denn er hat ihnen eine Stadt bereitgemacht.
KIT (Kingdom‐Interlinear‐Translation 1985):
ELB (Revidierte Elberfelder Übersetzung): Jetzt aber trachten sie nach einem besseren, das ist nach einem himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden, denn er hat ihnen eine Stadt bereitet.
Der Zusammenhang dieser Stelle spricht von den Gläubigen des Alten Bundes, insbesondere Abraham, die die Erfüllung der Verheißungen in ihrem Leben nicht hier auf der Erde gefunden haben. Der Autor des Hebräerbriefes weist darauf hin, dass sie ein besseres Vaterland suchten oder erstrebten, als jenes, das sie in ihrem irdischen Leben erfuhren. Ihr Ziel war dasselbe wie das der Gläubigen des Neuen Bundes: die ewige Gemeinschaft mit Gott. Da nun aber nach der Lehre der Wachtturm‐Gesellschaft die Gläubigen des Alten Bundes die Ewigkeit nicht im Himmel, sondern im irdischen Paradies verbringen werden, war es den Übersetzern der NWÜ nicht möglich, das griechische Wort epouránios mit „himmlisch“ (wie korrekt in der KIT: „heavenly“) wiederzugeben, ohne damit in Konflikt mit ihrer Lehre zu kommen. Die umständliche Formulierung „der zum Himmel gehört“ lässt die Möglichkeit offen, es auf ein irdisches Paradies zu beziehen, das in einer nicht näher bestimmten Weise zum Himmel gehört.
4 Zum Heiligen Geist
1. Mose 1,2:
NWÜ: Die Erde nun erwies sich als formlos und öde, und Finsternis war auf der Oberfläche der Wassertiefe; und Gottes wirksame Kraft bewegte sich hin und her über der Oberfläche der Wasser.
ELB: Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.
Da es sich hier um eine alttestamentliche Stelle handelt, steht die KIT nicht zur Verfügung.
Es fällt auf, dass das hebräische Wort ruach von der NWÜ nicht mit „Geist“, sondern mit „wirksame Kraft“ wiedergegeben wird. Dieses Wort bedeutet nun tatsächlich auch „Wind, Hauch“ und kann auch das Lebensprinzip meinen. In Verbindung mit dem Wort elohim (Gott) steht es für den Geist Gottes, wie wir es auch an anderen Stellen der NWÜ (z. B. Hiob 27,3) finden. Es ist zumindest eine Interpretation, wenn das sonst mit „Geist“ übersetzte Wort im zweiten Vers der Bibel mit „wirksame Kraft“ wiedergegeben wird. Man scheint hier dem Gedanken an eine Personhaftigkeit des Heiligen Geistes (die freilich erst im Neuen Testament offenbart wurde), von vornherein einen Riegel vorzuschieben.
1. Timotheus 4,1:
NWÜ: Die inspirierte Äußerung aber sagt ausdrücklich, daß in späteren Zeitperioden einige vom Glauben abfallen werden, indem sie auf irreführende inspirierte Äußerungen und Lehren von Dämonen achtgeben,
KIT:
ELB: Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden, indem sie auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen achten,
Auch hier zeigt ein Blick auf die KIT, dass das im Interlineartext mit „spirit“ („Geist“) wiedergegebene Wort, von der NWÜ in „inspired utterance“ („inspirierte Äußerung“)3 verwandelt wurde. Während der englische Text am Rande der KIT immerhin noch in der Fußnote die Bedeutung „spirit“ (mit kleinem Anfangsbuchstaben) bietet, ist in der deutschen Ausgabe diese Fußnote nicht zu finden.
Wenn hier „Geist“ mit „inspirierte Äußerung“ umschrieben wird, wird dadurch die Lehre der Wachtturmgesellschaft, dass der Heilige Geist nicht Person, sondern nur eine Kraft Gottes sei, unterstützt.
Apostelgeschichte 5,3–4:
NWÜ: Petrus aber sprach: „Ananịas, warum hast du dich vom Satan so dreist machen lassen, dem heiligen Geist gegenüber ein falsches Spiel zu treiben und von dem Preis des Feldes insgeheim etwas zurückzubehalten? Blieb es nicht dein, solange es bei dir blieb, und war es nicht, nachdem es verkauft war, weiter in deiner Gewalt? Warum beschlossest du eine solche Tat in deinem Herzen? Du hast ein falsches Spiel getrieben, [und dies] nicht Menschen, sondern Gott gegenüber.“
KIT:
ELB: Petrus aber sprach: Hananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den Heiligen Geist belogen und von dem Kaufpreis des Feldes beiseite geschafft hast? Blieb es nicht dein, wenn es unverkauft blieb, und war es nicht, nachdem es verkauft war, in deiner Verfügung? Warum hast du dir diese Tat in deinem Herzen vorgenommen? Nicht Menschen hast du belogen, sondern Gott.
Die Bedeutung des griechischen Wortes pseudomai ist in erster Linie „lügen“. Da „ein falsches Spiel treiben“ auch eine Form der Lüge ist, ist diese Wiedergabe in sich nicht ganz falsch, liegt aber hier wieder in der Tendenz, den Bibeltext an die Lehre der Wachtturm‐Gesellschaft anzupassen. Da es beim Wort „lügen“ viel klarer ist, dass es hier um eine Person geht, die belogen wird, wird dieses Wort vermieden und ein Wort gewählt, das sich auch auf Nicht‐Personen beziehen kann. Übrigens wird hier einmal gesagt, dass der Heilige Geist belogen wurde, und einmal, dass Gott belogen wurde. Die Lüge beiden gegenüber ist auf derselben Ebene. Der Heilige Geist ist Person wie Gott Person ist.
Interessanterweise gibt die KIT an dieser Stelle dieses griechische Wort unterschiedlich wieder: Im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist mit „to lie“ („lügen“), im Zusammenhang mit Gott mit „to play false“ („ein falsches Spiel treiben“).
Zu dieser Stelle ist aber als Positivum zu bemerken, dass die englische Ausgabe 2013 die korrekte Übersetzung „to lie“ („lügen“) bietet. Es wird aber wohl noch eine Zeit dauern, bis das auch in den deutschen Text eindringen wird.
2. Korinther 13,14 (13):
NWÜ: Die unverdiente Güte des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und der Anteil am heiligen Geist sei mit euch allen.
ELB: Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
In diesem Fall gibt die KIT das griechische Wort koinonia genauso wie die NWÜ mit „Anteil“ („sharing“) wieder, es gibt daher kein Faksimile.
Da das Wort „Gemeinschaft“ die Lehre der Personhaftigkeit des Heiligen Geistes unterstützt, wird dieses Wort vermieden und durch das „sachlichere“ Wort „Anteil“ ersetzt. Die Übersetzung „Anteil“ oder „Teilhabe“ ist grundsätzlich auch möglich. Das Wörterbuch zum Neuen Testament von Walter Bauer4 bringt aber als erste Bedeutung: „Gemeinschaft, enge Verbindung, innige Beziehung“. Die NWÜ ist an dieser Stelle zumindest dogmatisch voreingenommen. Diese Beurteilung betrifft auch die Übersetzung von Philipper 2,1.
Offenbarung 1,10:
NWÜ: Durch Inspiration befand ich mich dann am Tag des Herrn, und ich hörte hinter mir eine starke Stimme gleich der einer Trompete, […]
KIT:
ELB: Ich war an des Herrn Tag im Geist, und ich hörte hinter mir eine laute Stimme wie von einer Posaune, […]
Inspiration ist gewiss eine Wirkung des Heiligen Geistes. Aber wenn Johannes „im Geiste“ schreibt, meint er offensichtlich mehr als nur das. Warum muss hier der Text abgeändert werden?
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Teil 2
- Neue‐Welt‐Übersetzung der Heiligen Schrift, Revidiert 1986, Vorwort, S.5. ↩
- Wir verwenden die Ausgabe von 1985; später wurde sie nicht mehr gedruckt. ↩
- In der Ausgabe von 2013: „inspired word“ („inspiriertes Wort). ↩
- Walter Bauer, Griechisch‐deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6. Auflage, Berlin 1988, Sp. 892. ↩