Wurde die Lehre der Reinkarnation aus der Bibel entfernt?

Es wird vielfach behauptet, dass die Lehre der Reinkarnation durch ein bestimmtes Konzil aus der Bibel entfernt wurde. Auch wenn viele gar nicht in der Lage sind, ein bestimmtes Konzil zu benennen, wird doch am häufigsten das zweite Konzil von Konstantinopel (553 n. Chr.) oder das Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) genannt.

Zu der damaligen Zeit waren schon sehr viele Handschriften der Texte des Neuen Testaments im ganzen Römischen Reich (und darüber hinaus) verstreut. Daher ist es nur schwerlich vorstellbar, wie es möglich gewesen sein sollte, alle existierenden Manuskripte einzusammeln, um sie entsprechend zu „korrigieren“. Es gibt auch heute noch eine große Anzahl von Handschriften aus der Zeit vor den Konzilien, deren Text mit dem der heutigen Bibel übereinstimmt. (Eine kleine Auswahl der wichtigsten dieser Handschriften: „Alte Handschriften des Neuten Testaments“.) Dazu kommt, dass das Neue Testament von Schreibern vor dem vierten Jahrhundert reichlich zitiert wurde, sodass tausende Zitate des Neuen Testaments aus der Zeit vor dem ersten Konzil existieren.

Der Verlauf der beiden genannten Konzilien ist durch Historiker ausreichend dokumentiert. Die Frage der Reinkarnation wurde überhaupt nicht angesprochen. Das zweite Konzil von Konstantinopel (553 n. Chr.) verurteilte zwar die von Origenes vertretene Lehre der Präexistenz der Seele vor der Empfängnis. Die Lehre, dass die Seele immer wieder neu inkarniert, ist aber eine davon unterschiedene Lehre, die beim Konzil nicht besprochen wurde. Auch wenn viele denken, dass Origenes an die Reinkarnation geglaubt hat, schreibt er selber in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium:

„Es könnte aber jemand sagen, dass Herodes und einige Leute aus dem Volke der irrigen Lehre von der Seelenwanderung anhingen, sodass sie meinten, derjenige, der einmal Johannes war, sei (neu) geboren worden und von den Toten als Jesus wieder ins Leben gekommen.“ (X,20)

„… Dabei scheint mir nicht die Seele Elias genannt zu werden; ich möchte nämlich nicht in die Lehrmeinung von der Wiedereinkörperung verfallen, welche der Kirche Gottes fremd ist und weder von den Aposteln überliefert ist, noch irgendwo in den Schriften erscheint. (XIII,1)“

Mehrere Kirchenväter und frühchristliche Autoren bestätigen diese Ansicht (z. B. Irenäus: Gegen die Häresien 2,33,1–2, Tertullian: Apologetikum 48, Gregor von Nyssa: Abhandlung über die Ausstattung des Menschen 28, etc.).

Wenn es so wäre, dass die Lehre der Reinkarnation aus der Bibel herausgenommen wurde, dann hätte es nicht genügt, nur einige Teile aus der Bibel zu streichen. Das Neue Testament ist durchdrungen von der grundsätzlichen Lehre der Auferstehung Jesu und unserer Auferstehung. Das hätte zur Folge, dass alle Stellen, die über die Auferstehung (z. B. Johannes 5,28–29), das letzte Gericht (z. B. 2. Korinther 5,10; Apostelgeschichte 24,15), ewiges Leben oder ewige Verdammnis (z. B. Matthäus 25,46) sprechen, nachträglich eingefügt worden wären. Die Lehre über das letzte Gericht widerspricht klar dem Gedanken, dass wir wiederholt verkörpert werden, oder immer wieder eine neue Chance erhalten.

Besonders Hebräer 9,27 schließt die Lehre der Reinkarnation ganz klar aus:

Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal1 zu sterben, danach aber das Gericht, …

Die älteste Handschrift, die diese eindeutige Aussage enthält, ist der Papyrus 46, geschrieben im zweiten Jahrhundert, lange vor den Konzilien von Nizäa und Konstantinopel.

Seit der Zeit der Aufklärung ist die Bibel nicht mehr nur für den „Klerus“ da. Die moderne kritische Bibelwissenschaft (unter anderem Archäologie, Textkritik) hätte überhaupt kein Interesse daran, es zu verschweigen, wenn nur eine Spur der Lehre der Reinkarnation in alten Bibelhandschriften zu finden wäre. (Es gäbe genügend Forscher, die sich über den Ruhm freuen würden, den sie durch eine derartige Sensation erlangen könnten.)

Als die Handschriften vom Toten Meer (Qumran) entdeckt wurden, hofften viele Leute, dass die Lehre der Reinkarnation nun endlich bewiesen werden könnte. Die dort gefundenen Handschriften wurden in der Zwischenzeit schon alle veröffentlicht, und sind für jeden zugänglich. Sie enthalten Schriften einer jüdischen Gemeinschaft, deren Jenseitsvorstellungen mit der Lehre des Alten Testaments übereinstimmen, wo das Leben auf der Erde klar mit dem Tod beendet wird (z. B. 2. Samuel 12,23; 1. Könige 2,1–2; 1. Mose 25,8), und die Gerechten auferstehen und zu Gott kommen werden (z. B. Daniel 12,2–3).

Wir möchten jeden, der die Wahrheit sucht, dazu ermuntern, die Bibel mit einem offenen Herzen zu lesen, auch dann, wenn er Zweifel an deren Echtheit hat. Wir glauben und haben es auch persönlich erfahren, dass die Worte Jesu sehr tief berühren und unser Leben und unser Denken erneuern, wenn wir uns für sie öffnen, und bereit sind, sie zu uns sprechen zu lassen.

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Fußnoten:
  1. Im Griechischen steht hier ein Zahlwort.