Lehrt die Bibel, dass Jesus jetzt bald wiederkommt?

Warum ist diese Frage wichtig?

Viele Menschen, die sich mit der Bibel beschäftigen, meinen, dass die Wiederkunft Jesu nahe bevorstünde, weil in unserer Epoche die Zeichen der Endzeit deutlich zu sehen seien. Aus diesem Anlass wollen wir auf den folgenden Seiten einige Bibelstellen, die wir in diesem Zusammenhang für entscheidend halten, genauer betrachten. Wir möchten zeigen, warum es nicht der christlichen Gesinnung entspricht, über die Zeit von Jesu zweitem Kommen nachzusinnen. Jesus ruft uns auf, ihm nachzufolgen, ihm in Demut und Gehorsam treu zu dienen. Wir wissen, dass er kommt – wann, das ist für Christen nicht wichtig.

1 Können wir ungefähr wissen, wann Jesus wiederkommt?

Nach der Auferstehung des Herrn, als die Jünger wieder voller Hoffnung auf den Beginn des Gottesreichs blickten, fragten sie ihn:

Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her? Er sprach zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde. (Apostelgeschichte 1,6–8)

Jesus weist sie mit seiner Antwort einerseits auf den Auftrag hin, den sie erfüllen sollten. Andererseits sagt er deutlich, dass jegliche Beschäftigung mit der Zeit seiner Wiederkunft nicht ihre Sache ist. Zeiten und Zeitpunkte (griechisch „chronos“ und „kairos“) umfassen sowohl Zeiträume als auch konkrete Zeitpunkte. Wer immer also über die Zeit oder gar den Zeitpunkt der Wiederkunft spekuliert, muss sich letztlich für größer als die Apostel halten, sonst würde er sich, genau wie diese, an Jesu Wort halten.

Jesus hatte seinen Jüngern im Hinblick auf die Wiederkunft schon früher gesagt:

Von jenem Tag aber und jener Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel in den Himmeln, auch nicht der Sohn, sondern der Vater allein. (Matthäus 24,36)

Selbst der Sohn weiß es nicht! Wie hochmütig muss derjenige sein, der meint, die Zeit der Wiederkunft zu kennen oder zu erahnen? Manche dieser Ausleger nehmen Bezug auf Jesu Worte und sagen, dass man zwar Tag und Stunde nicht wisse, die ungefähre Zeit jedoch erkennbar sei. Jesus meinte aber nicht, dass er oder die Engel es nicht genau wissen (etwa so: Stunde und Tag kennt zwar niemand, Woche oder Jahr aber doch), sondern überhaupt nicht. Er macht das auch durch das Wort vom Dieb in der Nacht deutlich:

Wacht also! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Das aber erkennt: Wenn der Hausherr gewusst hätte, in welcher Wache der Dieb kommt, so hätte er wohl gewacht und nicht zugelassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. Deshalb seid auch ihr bereit! Denn in der Stunde, in der ihr es nicht meint, kommt der Sohn des Menschen. (Matthäus 24,42–44)

Auch Petrus (2. Petrus 3,10) und Paulus verwenden das Gleichnis vom Dieb in der Nacht, um damit zu zeigen, dass es unmöglich ist, die Zeit des Kommens Jesu vorauszusehen:

Was aber die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben wird. Denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, wie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen. Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle seid Söhne des Lichtes und Söhne des Tages; wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. (1. Thessalonicher 5,1–5)

Diese Stelle beweist, dass „Tag und Stunde“ nichts anderes bedeutet als „Zeiten und Zeitpunkte“. Wir wissen nicht, wann der Herr kommt und wir können es auch nicht wissen! Die Söhne des Lichts kümmern sich nicht um den Zeitpunkt des Kommens, sondern sie können dem Tag des Herrn mit Freude entgegen sehen, denn sie leben jeden Tag zu seinem Wohlgefallen.

2 Warum spricht der Herr dennoch von erkennbaren Zeichen?

Vieles von dem, was Jesus seinen Zeitgenossen sagte, ist auch für alle nachfolgenden Generationen von ungebrochener Aktualität. Seine Ankündigung der Zerstörung Jerusalems galt allerdings in erster Linie seinen Zuhörern, den Aposteln. Diese und die Christen Judäas sollten die Zeichen, die der Katastrophe vorausgehen, erkennen und entsprechend handeln. Es ist wichtig und bewahrt vor voreiligen Schlüssen, wenn man zunächst einmal bedenkt, was die direkten Adressaten verstehen sollten. Dies gilt vor allem für die sogenannten Endzeitreden in Matthäus 24, Markus 13 und Lukas 21.

Als er aber auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger für sich allein zu ihm und sprachen: Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters? (Matthäus 24,3)

Wollten die Jünger tatsächlich wissen, wann ihr Herr wiederkäme? Würde das nicht voraussetzen, dass sie zu diesem Zeitpunkt1 schon verstanden und angenommen hatten, dass Jesus abgelehnt, misshandelt und hingerichtet wird und dann aufersteht, zum Vater geht und erst dann wiederkommt? Zwar kann das griechische Wort „parousia“, welches hier mit „Ankunft“ wiedergegeben ist, auch „Wiederkunft“ bedeuten, aber die Evangelien zeigen deutlich, dass die Jünger nicht einmal die direkten Leidensankündigungen begriffen (Lukas 18,31–34). Folglich dachten sie auch hier, als sie Jesus nach den Zeichen seiner Ankunft fragten, nicht an eine etwaige Wiederkunft. Mit seiner Ankunft aber verbanden sie den sichtbaren Beginn seiner Macht als Messias, als unumstrittener König Israels. So ist auch die Frage nach der Vollendung des Zeitalters hier nicht mit dem Ende der Welt verknüpft, sondern: Wenn der verheißene König seine Herrschaft antritt, markiert das den Beginn des neuen, des messianischen Zeitalters.

In seiner Antwort geht Jesus zuerst auf die Zeichen vor der kommenden Zerstörung Jerusalems ein, an denen die Christen Judäas erkennen sollten, wann sein Tag käme, sie also die Stadt rechtzeitig verlassen müssen. Dieses Gericht beschreibt er als sein Kommen, nämlich als Richter über das ungehorsame Volk. Von diesem Ereignis  ausgehend spannt er dann einen Bogen zu seiner Wiederkunft, in der er ebenfalls als Richter kommt, für die es aber keinerlei Anzeichen geben wird. Im Anhang 1 Matthäus 24 werden wir darauf etwas genauer eingehen.

Es mag im ersten Moment unverständlich sein, warum Jesus die Zerstörung der Stadt als sein Kommen oder seinen Tag bezeichnet, aber im Alten Testament haben die Propheten das Gericht über das ungehorsame Volk auch manchmal in dieser Weise angekündigt:

Wehe über den Tag! Denn nahe ist der Tag des HERRN, und er kommt wie eine Verwüstung vom Allmächtigen. (Joel 1,15)

So spricht der HERR: Unheil über Unheil, siehe es kommt! Ein Ende kommt; es kommt das Ende, es erwacht gegen dich, Bewohner des Landes. Es kommt die Zeit, nahe ist der Tag: Bestürzung und nicht Jauchzen auf den Bergen! (Hesekiel 7,5–7)

Das Ende, das Hesekiel verkündet, ist das der Stadt und des Tempels. Seine Worte erfüllten sich schon nach wenigen Jahren: Jerusalem wurde im Jahre 586 v. Chr. durch die Babylonier zerstört.

Ausgehend von seiner Ankündigung von der Zerstörung des Tempels spricht auch Jesus gegenüber seinen Jüngern vom Ende, und meint damit das der Stadt:

Wenn ihr aber von Kriegen und Empörungen hören werdet, so erschreckt nicht; denn dieses muss zuvor geschehen, aber das Ende ist nicht sogleich da. (Lukas 21,9)

Wenn ihr aber Jerusalem von Heerscharen umzingelt seht, dann erkennt, dass seine Verwüstung nahe gekommen ist. Dann sollen die Judäa auf die Berge fliehen und die in seiner Mitte sind, daraus entweichen, und die auf dem Land sind, nicht dort hineinkommen. Denn dies sind die Tage der Rache, dass alles erfüllt werde, was geschrieben steht. (Lukas 21,20–22)

An anderer Stelle nennt er das gleiche Ereignis den Tag des Menschensohns, denn auch hier mahnt er zur Flucht:

Ebenso wird es an dem Tag sein, da der Sohn des Menschen offenbart wird. An jenem Tag – wer auf dem Dach sein wird und sein Gerät im Haus hat, der steige nicht hinab, um es zu holen; und wer auf dem Feld ist, wende sich ebenso wenig zurück. (Lukas 17,30f)

Durch ihre große Rebellion gegen die Gebote verloren die Israeliten oft Gottes Schutz. Wann aber war der Widerstand Israels gegen Gott je größer als zu der Zeit, in der er seinen einzigen, geliebten Sohn zu ihnen sandte? Und wer konnte deshalb das kommende Gericht besser voraussehen als eben der Menschensohn selbst?

Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zum Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn Tage werden über dich kommen, da werden deine Feinde einen Wall um dich aufschütten und dich umzingeln und dich von allen Seiten einengen; und sie werden dich und deine Kinder in dir zu Boden werfen und werden in dir nicht einen Stein auf dem anderen lassen, dafür, dass du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast. (Lukas 19,41–44)

Jesus wies auch bei anderen Gelegenheiten auf dieses Ereignis hin. So sagt er zu seinen Jüngern:

Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere! Denn wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird. (Matthäus 10,23)

In den vorhergehenden Versen 16–22 kündigt Jesus ihnen schlimme Verfolgungen an, besonders durch ihre Landsleute. Er tröstet sie damit, dass sie bis zu seinem Kommen, nämlich wenn Gott das Volk für die Ablehnung des Messias richten wird, immer eine Zuflucht finden werden. Hätte er hier seine Wiederkunft zu Lebzeiten seiner Jünger gemeint, müssten wir ihn und letztlich seine gesamte Botschaft verwerfen, denn dann hätte er sich geirrt.2 Es ist aber kein Irrtum, sondern Jesus hebt mit diesem Wort die Bedeutung der Tempelzerstörung hervor, welche einige der Jünger noch erleben werden. Dieses Kommen als Richter über Israel ist auch Vorbote des Endgerichts, das letztlich über alle Gottesverächter und Scheingläubigen hereinbrechen wird. Der geistliche Zusammenhang dieser beiden „Gerichtstage“ wird z. B. in folgender Aussage deutlich:

27 Denn der Sohn des Menschen wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun. 28 Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die werden den Tod keinesfalls schmecken, bis sie den Sohn des Menschen haben kommen sehen in seinem Reich. (Matthäus 16,27f)

Ohne Zweifel spricht Jesus in Vers 27 vom Gericht bei seiner Wiederkunft. Es liegt daher nahe, dass es auch in Vers 28 um ein Gerichtshandeln Jesu geht, welches manche der Jünger sogar noch erleben werden. Jerusalem wurde ungefähr 40 Jahre nach diesem Wort Jesu zerstört. Zu dieser Zeit waren manche der Jünger schon nicht mehr am Leben, aber einige hatten den Tod noch nicht geschmeckt.

3 Erfüllung der Zeit, Ende der Tage, letzte Tage, letzte Stunde – worum geht es da?

Jesus spricht schon am Anfang seines Wirkens von der Erfüllung der Zeit und mahnt seine Zuhörer zur Umkehr:

Und nachdem Johannes überliefert war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium! (Markus 1,14–15)

Die Zeit war erfüllt, nicht weil das Ende der Welt nahe war, sondern weil Gottes Gnade in Person vor ihnen stand. Für die Juden war es höchste Zeit, die falschen Vorstellungen über den Messias3 und über ihre besondere Stellung vor Gott4 aufzugeben. Sie sollten vielmehr lernen, dem Herrn im Glauben, d. h. in tiefem Vertrauen, zu dienen.

Das Neue Testament zeigt uns, dass die letzten Tage mit dem Auftreten Jesu begonnen haben.

Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat. (Hebräer 1,1f)

Mit diesen Worten beginnt der Hebräerbrief5. Wir können daran sehen, dass nicht erst die Menschen des 20. oder 21. Jahrhunderts, sondern schon die ersten Christen in der Endzeit lebten. Jesu Leben im vollkommenen Gehorsam zeigt uns den Weg zum Vater, noch viel stärker als es die Propheten vorher taten. Darüber hinaus ist er als Sohn das Abbild des Wesens Gottes. Er ist die stärkste und somit letzte Offenbarung Gottes in der Geschichte. Das nächste heilsgeschichtliche Ereignis wird sein zweites Kommen sein. Der Ausdruck „am Ende dieser Tage“ sagt auch nichts über die Dauer dieser Periode aus.

Paulus schreibt an Timotheus über die letzten Tage:

1 Dies aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden; 2 denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, 3 lieblos, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, 4 Verräter, unbesonnen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, 5 die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen. Und von diesen wende dich weg! (2.Timotheus 3,1–5)

Leider waren durch alle Zeitepochen hindurch die meisten Menschen selbstsüchtig, geldliebend, prahlerisch, wie schon die Sintflutgeschichte lehrt. Paulus will hier nicht sagen, dass die Menschen allgemein früher besser waren als in der letzten Zeit. Auch spricht er nicht über eine Epoche, die erst viel später beginnen würde. Es hätte keinen Sinn, Timotheus über die Verdorbenheit der Menschen des 21. Jahrhunderts zu informieren. Wie Vers 5 zeigt, leben ja beide schon in den letzten Tagen, denn Timotheus soll sich von solchen Zeitgenossen fernhalten. In der Zeit nach Jesus wird es viele Menschen geben, die sich Gott nahe fühlen und „ …die eine Form der Gottseligkeit haben, aber deren Kraft verleugnen.“. Paulus sieht damit anhand der Entwicklung in seiner eigenen Zeit schon das Scheinchristentum voraus, dessen Wurzeln tatsächlich bis ins erste Jahrhundert reichen. Das geht auch aus Kapitel 4,1–5 hervor. Er warnt davor, dass sich viele Gläubige oder am Glauben Interessierte von der Wahrheit abkehren und sich Fabeln zuwenden werden, und mahnt Timotheus deshalb, unbeirrt an der richtigen Lehre festzuhalten. Dass diese Situation nicht erst in späterer Zeit eintrifft, sondern in Ansätzen schon in der Zeit des Paulus Realität war, wird ferner aus 1.Timotheus 4,1–11, 6,20f, Apostelgeschichte 20,29f deutlich.

Die Verdrehung der christlichen Lehre ist auch der Hintergrund, wenn der Apostel Johannes vom Kommen des Antichristen spricht:

Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen aufgetreten; daher wissen wir, dass es die letzte Stunde ist. (1.Johannes 2,18)

Johannes hat die Leser seines Briefes nicht auf die baldige Wiederkunft Jesu einstimmen wollen6. Dafür gibt es auch im Rest des Briefes nicht den geringsten Anhaltspunkt. Aber im Auftreten der ersten Irrlehrer in den neutestamentlichen Gemeinden zeigt sich die Wahrheit des Wortes Jesu:

Er sprach aber zu seinen Jüngern: Es ist unmöglich, dass nicht Verführungen kommen. Wehe aber dem, durch den sie kommen! Es wäre ihm nützlicher, wenn ein Mühlstein um seinen Hals gelegt und er ins Meer geworfen würde, als dass er einem dieser Kleinen Anlass zur Sünde gäbe! (Lukas 17,1f)

Verführungen werden also kommen. Die frühen Gemeinden wurden vor allem durch das Wirken der Judaisten7 und den Einfluss der Gnosis8 bedroht. Selbsterdachte Lehren gab es schon vor Jesus, die Klarheit seiner Worte und sein absoluter Wahrheitsanspruch haben jedoch auch die Verführungen viel feiner werden lassen. Satan, der Vater der Lüge, will mit scheinbar schriftgemäßen Aussagen von der Wahrheit ablenken. Der Apostel zeigt uns in seinem Brief, dass neben den Differenzen im Lehrinhalt vor allem die fehlende Bruderliebe sicheres Zeugnis für die Verlogenheit der Irrlehrer ist. Dies gilt auch heute, sodass es für einen offenen Menschen trotz vieler Irrlehren möglich ist, zu beurteilen, ob eine Gemeinschaft den Geboten Jesu treu folgt oder nicht.

4 Worum geht es Jesus, wenn er von seiner Wiederkunft spricht?

Jesus hebt immer wieder hervor, wie wichtig Aufrichtigkeit und Wachsamkeit sind. In all den Worten, die wir in den Evangelien bezüglich der Wiederkunft finden, geht es nie um erkennbare Zeichen, sondern um ein Leben in Treue und Wahrhaftigkeit:

Es seien eure Lenden umgürtet und die Lampen brennen; und ihr, seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich aufmachen. Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: er wird sich umgürten und sie sich zu Tisch legen lassen und wird hinzutreten und sie bedienen. Und wenn er in der zweiten Wache kommt und in der dritten Wache kommt und findet sie so – glückselig sind jene!  (Lukas 12,35–38)

Nur die aufrichtige Liebe zum Herrn bewahrt uns vor scheinheiliger Gesinnung. Das bekräftigt Jesus mit dem anschließenden Gleichnissen vom Dieb in der Nacht9 und dem treuen und untreuen Knecht:

Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, bei solchem Tun finden wird! In Wahrheit sage ich euch, dass er ihn über seine ganze Habe setzen wird.  Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit mit dem Kommen und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen und zu essen und zu trinken und sich zu berauschen, so wird der Herr jenes Knechtes kommen an einem Tag, an dem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß und wird ihn entzweischneiden und ihm seinen Teil setzen mit den Ungläubigen. (Lukas 12,43–46)

Geradezu eindringlich lehrt Jesus, dass es immer darauf ankommt, ihm gehorsam und mit ungeteiltem Herzen zu dienen und nicht etwa mit anderem beschäftigt zu sein oder gar den eigenen Lüsten zu folgen. Dass niemand weiß, wann er kommt, soll uns auch bewusst machen, dass es keinen anderen Weg zu Gott gibt.

Darüber hinaus müssen wir uns vor Augen halten, dass die allermeisten Menschen den Tag der Wiederkunft erleben, wenn sie sterben. Der untreue Knecht steht nicht für die letzte Generation der Menschen. Nach Selbstverleugnung und Gehorsam zu streben ist immer nötig, denn Widerstand gegen die Gebote Gottes führt schon bald zur Verhärtung. Wir sollen nicht „gnädig“ mit uns selbst sein und meinen, wir könnten ja später immer noch umkehren. Das haben wir nicht in der Hand! Deshalb warnt Jesus seine Gemeinden und spricht von seinem Kommen, ohne zu meinen, dass seine Wiederkunft auf Erden nahe bevorstünde:

Wach auf und stärke das Übrige, das im Begriff stand zu sterben! Denn ich habe vor meinem Gott deine Werke nicht als völlig befunden. Denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße! Wenn du nun nicht wachst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. (Offenbarung 3,2f)

Das Bild vom Dieb benutzt Jesus hier, um die selbstsicheren Gläubigen der Gemeinde von Sardes zu warnen, damit sie nicht abfallen. Es ist unmöglich, trotz Warnungen im Ungehorsam zu verharren und doch am Fest mit Jesus teilzuhaben.

Die absolute Dringlichkeit von Treue und Gehorsam, selbst in schweren Verfolgungen, ist der Schwerpunkt der Offenbarung des Johannes. Leider ist dieses Buch seit vielen Jahrhunderten Ausgangspunkt von Spekulationen über die Zeit der Wiederkunft. Es ist kein Zufall, dass viele frühere und jetzige Ausleger einen genauen Ablauf der Geschichte in die zahlreichen Bilder hineindeuten. Die Zukunft oder gar die Wiederkunft voraussagen zu können ist eben sehr reizvoll. Zugleich gehören die Ausleger meist religiösen Organisationen an, in denen der Aufruf Jesu, sich selbst zu verleugnen und ihm tatsächlich nachzufolgen, die Brüder zu lieben und mit ihnen in der Einheit des Geistes zu leben, durch falsche Lehren praktisch umgangen wird.

Christus hat uns aber die Offenbarung nicht als Quelle für Spekulationen gegeben, sondern damit wir uns nicht von der Welt verführen lassen.

Weil du das Wort vom Harren auf mich bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen. Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit niemand deinen Siegeskranz nehme! Wer überwindet, den werde ich im Tempel meines Gottes zu einer Säule machen, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und meinen neuen Namen. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! (Offenbarung 3,10–13)

Jesus lobt die Gemeinde von Pergamon für ihren Gehorsam und verheißt ihr Schutz in Zeiten der Versuchung. Der Ausspruch „Ich komme bald“ ist hier wie auch überhaupt in der Offenbarung eher als Ermunterung für die Gläubigen zu verstehen, am Gehorsam unter allen Umständen festzuhalten, denn die Erlösung ist nahe.

Es gibt noch viele andere Stellen, in denen uns Jesus und die Apostel dazu aufrufen, die Lehre rein zu halten und darin zu wandeln. Wir hoffen, dass wir trotz der Kürze und Unvollkommenheit der hier dargelegten Gedanken dem Leser helfen konnten, mehr Klarheit darüber zu gewinnen, welchen Sinn die Aussagen über die Endzeit haben. Wir sind dankbar für jede Zuschrift und freuen uns, mit interessierten Lesern in Kontakt zu kommen, um über diesen und andere Inhalte des Glaubens genauer auszutauschen.

Anhang 1: Matthäus 24

Im folgenden Abschnitt wollen wir grob den Gedankengang dieses Kapitels nachzeichnen, um die bereits im Haupttext aufgeführten Argumente zu vertiefen. Die von Jesus erwähnten Zeichen konnten nur solche für die Zerstörung Jerusalems sein. Sein Kommen als Richter aller Menschen ist sicher, aber wann er kommt, ist nicht voraussehbar.

Die Jünger bestaunten die prächtigen Gebäude des Tempels, die die Größe und Unbesiegbarkeit Gottes gut zu symbolisieren schienen. Es muss sie deshalb sehr bewegt haben, dass Jesus, statt in das Staunen einzustimmen, die Zerstörung dieses Hauses voraussagt. Sie wollten nun nicht nur wissen, wann dies geschieht, sondern ein solches Ereignis konnten sie sich nur im Zusammenhang mit der Vollendung des Zeitalters, mit dem Beginn der messianischen Zeit vorstellen.

Die Frage, wann es geschieht und welche Zeichen es dafür gibt, beantwortet Jesus in den Versen 4–28 und 32–34. Die Verführer im Vers 5, die unter seinem Namen10 kommen, sind die auch in Vers 24 erwähnten falschen Christusse. Tatsächlich beanspruchten im Krieg mit den Römern einige Rebellenführer den Titel Messias für sich.

In den folgenden Versen 6–13 macht Jesus die Verschlechterung der allgemeinen Umstände deutlich und sagt auch Verfolgung und Verführung voraus. Man muss unbedingt an der zeitgeschichtlichen Bedeutung dieser prophetischen Worte Jesu festhalten! Jesus hebt ja später klar hervor, dass es für seine Wiederkunft überhaupt kein Zeichen gibt. Leider gibt es viele Ausleger, die die in Matthäus 24,3–2811 erwähnten Zeichen auf Kriege und Erdbeben kurz vor Jesu Wiederkunft beziehen. Die Endzeit sehen sie durch derartige Ereignisse in ihrer eigenen Zeit als eingeläutet an. Infolge dessen würde Jesus also bald kommen. Leider ließen sich zu allen Zeiten viele durch solch spektakuläre Interpretationen verführen. Die Falschheit früherer derartiger Voraussagen ist einerseits durch den Fortgang der Geschichte offenbar geworden. Aber andererseits muss man sich ganz grundsätzlich fragen: Gab es auf dieser Welt jemals eine Zeit ohne Kriege und Erdbeben? Wohl kann ein begrenztes Territorium auf viele Jahrzehnte hin von Naturkatastrophen verschont bleiben und auch längere Friedenszeiten erleben. Für die Menschen einer solchen Gegend wird eine Kriegsgefahr erstes Anzeichen einer deutlichen Verschlechterung der Situation sein. Aber global betrachtet gab es leider nie längere Perioden des Friedens, weshalb Kriegsgerüchte als Zeichen für das Endgericht, sofern es solche überhaupt gäbe, völlig ungeeignet wären. Dazu kommt, dass durch den technischen Fortschritt die Waffen viel effektiver wurden, sodass die Zahl der Toten in kriegerischen Auseinandersetzungen seit dem 19. Jahrhundert immens anstieg. Zudem ist die Weltbevölkerung im Vergleich zur Zeit Jesu auf ein Vielfaches angewachsen, weshalb bei Kriegen und Naturkatastrophen meist viel mehr Opfer zu beklagen sind als in früheren Zeiten. Und vor allem sind wir durch die Entwicklung der Massenmedien täglich einer Flut von schlechten Nachrichten ausgesetzt, so dass es scheinen mag, die Häufigkeit solcher Ereignisse habe rapide zugenommen. Aber Jesus wollte weder seine Jünger noch uns dazu ermuntern, Statistiken über die Anzahl der gegenwärtigen Kriege und Naturkatastrophen zu erheben, anhand derer wir dann eine geistlich wichtige Erkenntnis ableiten könnten. Seine Worte sind an seine Jünger gerichtet, die aus den Zeichen in ihrer Zeit die richtige Schlussfolgerung ziehen sollten.

Auch der Vers 14 ist im zeitgeschichtlichen Zusammenhang der Generation der ersten Christen verständlich. Im ersten Jahrhundert lebten viele Juden nicht in Judäa und Galiläa, sondern verstreut auf dem ganzen Erdkreis12, d. h. im Römischen Reich und darüber hinaus. Trotzdem waren wohl die meisten von ihnen stark mit dem Land ihrer Väter verbunden, nicht zuletzt wegen der wichtigen Feste in Jerusalem, zu denen sie oft pilgerten13. Zwar waren diese Diasporajuden von der griechischen Kultur geprägt und fühlten sich daher vielleicht etwas weniger dem Gesetz verpflichtet als diejenigen in Palästina, doch waren auch sie von der Hoffnung auf den Messias erfüllt. Es ist sehr stark zu vermuten, dass viele von ihnen zur Zeit des Jüdischen Krieges (66 – 70) mit ihren gegen die Römer kämpfenden Brüdern sympathisierten. Das Ende, von dem Jesus spricht, dieses schreckliche Ende des Tempels, der Stadt und all der Kämpfer für – das falsch verstandene – Gottesreich wäre für all jene Menschen unausweichlich Anlass zu völliger Verzweiflung gewesen, wenn sie nicht auch schon die Botschaft des Evangeliums von Jesus durch die Missionstätigkeit der Apostel erfahren hätten. Und auch für alle anderen Bewohner des Erdkreises war es gut, die Möglichkeit zu haben, die tiefere Bedeutung dieser Niederlage verstehen zu können.

Die Verse 15–28 handeln nun direkt von der kommenden Drangsal. Es ist auch dies keine exakte Beschreibung von Ereignissen, sondern Jesus hebt durch die Erinnerung an eine frühere Zeit der Bedrängnis hervor, dass die Heiligen unbedingt fliehen müssen. Damals, zur Zeit des Seleukidenkönigs Antiochus Epiphanes, der neben vielen anderen Bosheiten auch den Tempel entweihen ließ, mussten die gesetzestreuen Juden in die Berge fliehen. Das Gräuelbild der Verwüstung muss jedem Juden immer noch Symbol für eine Zeit schwerster Trübsal gewesen sein. Die Christen Judäas sollen dazu beten, dass die Flucht nicht im Winter oder an einem Sabbat geschehe. Außerdem soll sich niemand durch wunderbar scheinende Erfolge der Aufrührer im Kampf gegen die Römer verführen lassen. Alle Hoffnungen auf einen Sieg der Rebellen sind unrealistisch. Die Adler (Symbol der römischen Legionen) kommen und werden das Aas, nämlich die in der Stadt eingeschlossenen todgeweihten Kämpfer, verzehren. Dies ist das unmissverständliche Urteil und Gericht Gottes über sein Volk, welches seinen Sohn und dessen Friedensbotschaft ablehnte14.

In den Versen 29–31 spannt Jesus einen Bogen von der Drangsal des Jüdischen Krieges bis zu seiner sichtbaren Wiederkunft15. Das alte Volk Gottes verliert seine Position (29), während die Gemeinde des Herrn das Zeichen für den Erlöser ist, wodurch noch Israeliten wehklagen, d. h. zur Reue finden werden (30). Schließlich werden alle Christen beim Herrn versammelt (31).

In den Versen 34–36 betont Jesus, dass sich seine Prophetie mit Sicherheit erfüllt, denn seine Worte sind Gottes Worte. Für das Eintreffen des Gerichts über die Juden gibt er im Vers 34 einen klaren Zeitrahmen an: Noch in der Generation seiner Zuhörer wird das geschehen. Im Gegensatz dazu ist es unmöglich zu wissen, wann jener Tag, nämlich das im Vers 31 schon angedeutete Endgericht, kommen wird, so dass sich Jesus sogar selbst – als Mensch – in dieses Nichtwissen einschließt.

So haben alle auf Vers 36 folgenden Aussagen diese Gemeinsamkeit: Für diesen Tag gibt es überhaupt kein Zeichen! Christen werden sich schon deshalb nicht mit den „Zeichen“ beschäftigen, da sie durch die Worte Jesu wissen, dass solche nicht existieren. Das Beispiel Noahs steht dafür, dass das Leben der Leute in den gewohnten Bahnen lief, das Gericht sie also völlig unvorbereitet traf16. Das Gleichnis vom Dieb in der Nacht wird auch von Petrus (2. Petrus 3,10) und Paulus (1. Thessalonicher 5,2) verwendet, um die Gläubigen zum besonnenen und eifrigen Wandel in den Geboten des Herrn zu ermutigen und jeder Spekulation von vornherein den Boden zu entziehen. Nur beständige, selbstlose Liebe und demütiges Dienen gemäß dem Wort Jesu wird diesen Tag für uns zu einem Freudentag machen, wann er auch kommen mag. Wer nicht ausharrt, Jesus zu folgen und immer darauf bedacht zu sein, dem Herrn zu gefallen und Gutes zu tun, kann in Ewigkeit nicht am Fest teilnehmen. Dabei ist es unerheblich, ob man ihn nicht so bald erwartete (siehe dazu das Gleichnis vom untreuen Knecht 24,45–51), oder viel früher mit ihm rechnete (Gleichnis von den zehn Jungfrauen 25,1–13), oder sich in seiner Laxheit gar methodisch einen Platz sichern wollte (Gleichnis von den anvertrauten Talenten 25,14–30).

Anhang 2: Findet eine Entrückung der Gläubigen vor dem Endgericht statt?

Jesus und das Neuen Testament sprechen nur über eine einzige Wiederkunft Jesu am Letzten Tag. An diesem Tag werden die Gottlosen gerichtet und die Gläubigen auferweckt, wie Jesus es seinen Jüngern zum Beispiel nach dem Gleichnis vom Unkraut des Ackers erklärt:

Dann entließ er die Volksmengen und kam in das Haus; und seine Jünger traten zu ihm und sprachen: Deute uns das Gleichnis vom Unkraut des Ackers! Er aber antwortete und sprach: Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen, der Acker aber ist die Welt; der gute Same aber sind die Söhne des Reiches, das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen; der Feind aber, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte aber ist die Vollendung des Zeitalters, die Schnitter aber sind Engel. Wie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es in der Vollendung des Zeitalters sein. Der Sohn des Menschen wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammenlesen und die, die Gesetzloses tun, und sie werden sie in den Feuerofen werfen; da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters. Wer Ohren hat, der höre! (Matthäus 13,36–43)

Von der Auferweckung der Gläubigen spricht er auch in der folgenden Stelle:

Dies aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag. Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. (Johannes 6,39–40)

Nach Ansicht vieler Freikirchen werden jedoch noch vor dem Beginn eines angeblich bevorstehenden Tausendjährigen irdischen Friedensreichs, also auch vor dem Jüngsten Tag, die zu diesem Zeitpunkt lebenden Christen samt allen schon verstorbenen in den Himmel entrückt. Von einer Tausendjährigen Herrschaft Christi ist allerdings nur in Offenbarung 20 die Rede. Da die Botschaft dieses Buches im Unterschied zu allen anderen neutestamentlichen Schriften fast gänzlich durch Bilder und Symbole gewissermaßen verschlüsselt ist und auch Zahlen meist nicht wörtlich zu verstehen sind, ist es gefährlich, konkrete Lehren über zukünftige Ereignisse daraus abzuleiten. Deshalb bemühen sich die Vertreter dieser Lehre, Hinweise in anderen Schriften ausfindig zu machen. Manche sehen einen solchen in Matthäus 24,40f:

Dann werden zwei auf dem Feld sein, einer wird genommen und einer gelassen; zwei Frauen werden an dem Mühlstein mahlen, eine wird genommen und eine gelassen. (Matthäus 24,40–41)

Jesus mahnt im Zusammenhang dieses Verses zu Treue und Wachsamkeit wegen des unvorhersehbar kommenden Gerichts. Das zeigt auch der Vergleich mit der Sintflut (Verse 38–39). Es kann sich deshalb nicht um die Beschreibung einer Entrückung handeln, die doch angeblich vor dem Gericht stattfindet. Das geben auch manche Vertreter dieser Lehre zu.

Aus den Evangelien wird noch Johannes 14,2f auf die Entrückung bezogen:

Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, würde ich euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin. (Johannes 14,2–3)

Jesus spricht hier von seinem Wiederkommen, um die Jünger zu sich zu nehmen, doch gibt es keinen Grund anzunehmen, dass dies nicht am Gerichtstag, sondern vorher geschähe. Vielmehr kann man aus der Gesamtheit der Worte Jesu bezüglich der Wiederkunft erkennen, dass dann jedem nach seinem Tun vergolten wird (z.B. Matthäus 7,21ff, 16,27, 24,45–25,46, 26,64, Johannes 5,28f). Auch das eingangs erwähnte Gleichnis vom Unkraut des Ackers sowie das vom Fischnetz (Matthäus 13,24–43 bzw. 13,47–50) zeigen, dass es einen Tag des Gerichts und der Vergeltung gibt: Die treuen Nachfolger des Herrn und alle Gerechten gehen ein zum ewigen Leben, während die Übeltäter, alle Hochmütigen und Unbarmherzigen daran in Ewigkeit nicht teilhaben können. Wir müssen also feststellen, dass es für eine plötzliche Hinwegnahme der Christen aus dem weiterlaufenden Alltag keinerlei Anhaltspunkt in den Evangelien gibt.

Als Hauptargument wird daher eine Stelle im 1. Thessalonicherbrief angeführt:

Wir wollen euch aber, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht betrübt seid wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. Denn dies sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten! (1. Thessalonicher 4,13–18)

Vertreter der Entrückungslehre argumentieren, dass nach diesen Worten die Christen in Wolken zum Herrn entrückt werden, was bedeute, dass Christus hier nicht auf die Erde käme. Die Gläubigen träfen den Herrn in oberen Luftschichten. Deshalb könne hier nur von der Entrückung und nicht vom Gericht am letzten Tag die Rede sein. Obwohl sie meinen, so dem Wortlaut des Textes am besten gerecht zu werden, halten wir es für sehr fragwürdig, aus diesem Detail einen solchen Schluss zu ziehen. Wie wir noch sehen werden, sprechen sowohl der Text selbst sowie das folgende Kapitel des Briefes gegen diese Auslegung.

Was der genaue Hintergrund für die Betrübnis einiger der noch sehr jungen Christen in dieser Stadt war, können wir nur vermuten. Wichtig ist, dass Paulus sich in seiner Erklärung, dass sowohl die lebenden als auch die schon entschlafenen Christen gleichzeitig zum Herrn gehen, auf ein Wort des Herrn beruft. Wie wir vorher sahen, ist die Entrückungslehre aus keinem Wort Jesu ableitbar, weshalb sich deren Befürworter auf 1. Korinther 15,51 berufen, wo Paulus offensichtlich vom gleichen Ereignis spricht, dieses aber als ein Geheimnis bezeichnet:

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden, unvergänglich sein, und wir werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muss Unvergänglichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. (1. Korinther 15,51–53)

Aus der Verwendung des Wortes „Geheimnis“ meint man ableiten zu können, dass Jesus in seiner Wirkungszeit nicht über die Entrückung gesprochen, sie nun aber durch das Wort des Apostels offenbart habe. Paulus spricht hier jedoch gar nicht von einer Entrückung im Verlauf der Geschichte, sondern von der Verwandlung der Toten und der Lebenden – nämlich bei der letzten Posaune, also vom Jüngsten Tag. Dass er dabei nur die Auferstehung und Verwandlung der Gläubigen im Auge hat ist kein Argument dagegen. Anfangend mit dem Beispiel Jesu lehrt Paulus hier Grundsätzliches über das Ziel des Lebens, die Auferstehung, weil einige der Korinther eine Meinung vertraten, die der christlichen Lehre zuwider lief. Dass nun viele Menschen wegen ihrer Entscheidungen gegen Gott dem ewigen Gericht verfallen, ist traurige Realität. Die ewige Existenz dieser Menschen im geistlichen Tod wollte Paulus aber nicht als Unsterblichkeit bezeichnen.

Paulus offenbart also weder hier noch im Thessalonicherbrief das Geheimnis der Entrückung. Das Geheimnis, eine vorher nicht so klar ausgesprochene Realität, liegt eher darin, dass manche Christen verwandelt werden, ohne den Tod erfahren zu müssen. Wenn Paulus auf ein Wort Jesu Bezug nähme, das nur ihm zuteil geworden wäre, hätte er es zitiert. Jedoch lässt sich der Inhalt des Gesagten aus den bekannten Worten Jesu ableiten, selbst wenn wir kein genau passendes Zitat kennen. Paulus möchte die Unkenntnis mancher Christen in Thessalonich ja mit einem klaren Hinweis auf Jesu Lehre beenden. Ein solches Wort über die Auferstehung finden wir im Johannesevangelium:

Denn wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst; und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist. Wundert euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und hervorkommen werden; die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben zur Auferstehung des Gerichts. (Johannes 5,26–29)

In jener Stunde werden alle Toten auferstehen und vor dem Richterstuhl des Messias‘ stehen, und da Jesus Richter aller Menschen ist, schließt das auch die zu diesem Zeitpunkt auf der Erde Lebenden mit ein. Wie oben erwähnt, lassen auch die anschließenden Gedanken des Paulus im Brief an die Thessalonicher keinen anderen Schluss zu:

Was aber die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben wird. Denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, wie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen. Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle seid Söhne des Lichtes und Söhne des Tages; wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. (1. Thessalonicher 5,1–4)

Hier schreibt Paulus eindeutig über den Jüngsten Tag und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er im Kapitel 4 ein anderes Ereignis gemeint haben könnte. Das zeigt sich u. a. daran, dass die Christen von diesem Tag nicht ergriffen werden, weil sie Söhne des Lichts und des Tages sind. Hätte Paulus an eine Entrückung der Christen vor dem Gericht geglaubt, hätten diese Worte keinen Sinn.

Da nun nirgendwo im Neuen Testament außer in der Offenbarung von einer Entrückung der Christen, einer ersten Auferstehung noch vor dem Gericht die Rede ist, stellt sich die Frage, wovon Johannes dort spricht:

Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben; und ich sah die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und die, welche das Tier und sein Bild nicht angebetet und das Malzeichen nicht an ihre Stirn und an ihre Hand angenommen hatten, und sie wurden lebendig und herrschten mit dem Christus tausend Jahre. Die Übrigen der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren. Dies ist die erste Auferstehung. Glückselig und heilig, wer teilhat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit ihm herrschen die tausend Jahre. (Offenbarung 20, 4–6)

Wie eingangs erwähnt, ist die Auslegung der Offenbarung wegen der reichlichen Verwendung symbolischer Ausdrücke schwierig. Trotzdem ist es auch hier ratsam, zuerst zu verstehen, welche Botschaft diese Schrift für ihre ersten Adressaten, die Christen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, enthält. So erfahren wir, dass der Apostel Johannes den Inhalt während seiner Gefangenschaft auf der Insel Patmos empfing. Die Sendschreiben an sieben kleinasiatische Gemeinden in den Kapiteln 2 und 3 gewähren uns Einblick in die geistliche Situation derselben. Allein diese offensichtlich im historischen Rahmen dieser Zeit verankerten Botschaften sind seit vielen Jahrhunderten Objekt von Spekulationen. Angeblich gehe es um die sieben Epochen der Kirchengeschichte, wobei die jeweiligen Ausleger denken, selbst in der vorletzten oder letzten dieser Epochen zu leben. Der Text stützt diese Gedanken nicht. Auch ist die Frage berechtigt, ob die uns zugängliche „Kirchen“geschichte tatsächlich die Geschichte der Kirche ist17.

Zudem: Welches Ziel hätte Gott mit einer solchen Geschichtsvorschau verfolgen können? Welchen Sinn hätte es, wenn der Leser sich in irgendeiner dieser Epochen wiederfände? Sollte er erkennen, dass es noch lange oder nicht mehr lange dauert, bis Jesus wiederkommt? Nein, darum geht es Gott nicht. Die enthaltenen Ermahnungen und Ermunterungen zur Liebe, zum Durchschauen der falschen Lehrer, zum Ausharren in der Verfolgung gelten den direkten Adressaten. Wie alle anderen Briefe des NT sind auch die Sendschreiben von großem Wert für alle Christen, denn sie ermuntern zur Selbstprüfung, zum Ausharren, zum Festhalten an der Zuversicht und an der richtigen Lehre.

Wenn schon diese Kapitel so missdeutet werden, ist diese Gefahr beim Rest des Buches umso größer. Wir denken, dass mit dem Inhalt des Buches in erster Linie die im ersten Jahrhundert verfolgten Christen ermuntert und getröstet werden sollen und deshalb auch Rückblicke auf bereits Geschehenes vorhanden sind. Manche Ausleger aber schließen Bezüge auf Situationen vor und während der Abfassungszeit aus. Natürlich denken auch wir, dass alle später lebenden Gläubigen dadurch ebenfalls ermuntert werden, die Verfolgungen zu erdulden. Niemals aber sollte damit Raum für Spekulationen geschaffen werden.

Dies gilt auch für Offenbarung 20. Die in der Verfolgung standhaft gebliebenen, zum Großteil getöteten Christen werden mit Christus herrschen. Wer die tausend Jahre buchstäblich versteht, verkennt die symbolische Verwendung von Zahlen besonders in der Offenbarung. Es gibt in allen biblischen Schriften keine Zeitangabe, die tausend Jahre überschreitet. Nur über Gott heißt es, dass tausend Jahre wie ein Tag sind. Das darf uns nicht dazu führen zu denken, dass dann zweitausend Jahre wie zwei Tage sind. Vielmehr symbolisiert diese Zahl eine unfassbare Größe, wie es Gott entspricht, der auch die Zeit geschaffen hat. Damit ist nicht nur sein Stehen über der Zeit gemeint, sondern auch seine große Macht. Somit steht der großen Macht Gottes und derer, die zu ihm gehören, das ohnmächtige Aufbäumen des Satans, für eine kurze Zeit, gegenüber. Es legt sich auch aus einem anderen Grund nahe, nicht zeitlich aufeinanderfolgende Ereignisse, sondern die Herrschaftsverhältnisse in zeitlicher Form ausgedrückt zu sehen. Denn wenn Gott den Satan schon völlig ausgeschaltet hätte, ergäbe sich die Frage, wieso er ihn dann noch einmal loslassen sollte, um dem Bösen wieder freie Hand zum Verführen zu lassen. Damit wäre Gott nicht nur der, der das böse Treiben zulässt, sondern derjenige, der dem Bösen wieder Raum zum Wirken verschafft.

Die Vorstellung der Anhänger der Entrückungslehre, dass plötzlich viele Menschen völlig unauffindbar verschwinden, liefert vielleicht Stoff für Unterhaltungsfilme, mit der Lehre der Bibel haben derartige Gedanken nichts zu tun. Es entspräche auch nicht dem Wesen Gottes, durch solche massiven über‐ und unnatürlichen Ereignisse Druck auszuüben. Er will doch, dass wir uns ihm aufgrund der Wahrheit in Jesus anvertrauen, unser altes, sündiges Leben bereuen und aus Liebe zu ihm Nachfolger seines Sohnes werden.

Anhang 3: Willkürliche Berechnungen der so genannten Endzeit aus dem Buch Daniel

Obwohl das Buch Daniel prophetische Texte enthält, unterscheidet es sich in seiner gesamten Form stark von den prophetischen Büchern der Bibel. Hier ist nicht der Platz zu erklären, warum das so ist, jedoch ist der literarische Charakter der dargestellten Geschichten unserer Meinung nach unübersehbar. Außerdem ist Daniel im Kanon der hebräischen Bibel nicht unter den Propheten zu finden, sondern unter den Schriften18. Grund dafür könnte seine späte Fertigstellung gewesen sein.

Für uns als Christen enthält es sehr wichtige prophetische Aussagen. Jesus nimmt in einer Rede über sein Wirken im Zusammenhang mit der Auferstehung Bezug auf Daniel 12,2, die klarste Stelle über diese Realität überhaupt. Seine Selbstbezeichnung „Menschensohn“ ist der messianischen Prophetie in Kapitel 7 entnommen. Und sogar den Tod des Messias und die erneute Zerstörung des Jerusalemer Tempels finden wir in 9,24–26 vorausgesagt.

Kein anderes Buch des Alten Testaments handelt so intensiv von Träumen und Visionen sowie deren Deutungen. Dadurch ist es auch besonders interessant für Menschen, die sich vornehmen, die Zukunft vorherzusagen. Religiöse Gruppierungen wie die Zeugen Jehovas und die Adventisten verdanken ihre Existenz in starkem Maße bestimmten spekulativen Interpretationen einiger Texte aus diesem Buch. Deshalb wollen wir solche Texte anschauen, um die Willkür und Haltlosigkeit dieser Auslegungen zu zeigen.

Sieben Zeiten = 2520 Jahre?

Im Kapitel 4 erfährt König Nebukadnezar einen Traum, der ihn beunruhigt. Er sieht einen bis an den Himmel reichenden Baum, der umgehauen und dessen Stumpf für sieben Zeiten in Ketten gelegt wird. Nur Daniel ist fähig, den Traum zu deuten. Er ist eine Warnung Gottes an den König, mit seinen Sünden zu brechen und in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu leben. Da jener sich aber nicht ändert, sondern im Stolz verharrt, geschieht nach Jahresfrist das von Daniel vorausgesagte Übel. Nebukadnezar wird von Thron und Gesellschaft entfernt und vegetiert gleich einem wilden Tier dahin. Aber am Ende von sieben Jahren kehrt sein Verstand zurück, er blickt zum Himmel, preist Gott und bekennt:

Nun rühme ich, Nebukadnezar, und erhebe und verherrliche den König des Himmels, dessen Werke allesamt Wahrheit und dessen Wege Recht sind und der die erniedrigen kann, die in Stolz einhergehen. (Daniel 4,34)

Damit drückt er die wichtigste Lehre, die entscheidende Schlussfolgerung dieser Geschichte aus.

Bliebe man bei dem Grundsatz: „Nicht über das hinaus, was geschrieben steht“ (1.Kor. 4,6), wäre die Gefahr der Um‐ und Überinterpretation gebannt. Da aber das Buch Daniel an anderen Stellen von der Zeit des Endes spricht, sah man es als gerechtfertigt an, dieser Geschichte eine verborgene, tiefere „Deutung“ abzugewinnen.

Sieben Zeiten bedeuten in Text von Kapitel 4 sieben Jahre. Diese kurze Zeitspanne eignet sich überhaupt nicht für Voraussagen, die in unsere moderne Epoche reichen sollten. Es kommt nun an einigen Stellen des AT vor, dass ein Tag symbolisch für ein Jahr steht.

Der Prophet Hesekiel soll 390 Tage auf der einen und 40 Tage auf der anderen Seite liegen, um so die Schuld Israels (des Nordreiches) und Judas (des Südreiches) zu tragen (Hesekiel 4,4–7).

Im Kapitel 9 des Danielbuches wird die 70‐Jahr‐Prophetie von Jeremia durch einen Engel neu gedeutet. Er spricht von 70 „Siebenern“. Im Sinne von 70 Wochen ergäbe das nur eine Periode von weniger als 2 Jahren. Aus dem Text lässt sich aber schließen, dass der Zeitrahmen erweitert werden soll. Deshalb muss man die „Siebener“ hier als Jahrwochen verstehen, wodurch sich eine Zeit von 70 x 7 Jahren = 490 Jahre ergibt.

Wohl ermuntert durch solche Beispiele meinten die Bibelforscher, auch für Daniel 4 die Regel „ein Tag für ein Jahr“ anwenden zu dürfen. 7 x 360 Tage ergeben 2520 Tage, die nun wiederum 2520 Jahren entsprechen sollen. Um diese aber für eine Endzeitaussage benutzen zu können, war auch die inhaltliche Umdeutung des Kapitels notwendig. Man entschied sich, die Entmachtung Nebukadnezars als das Ende Jerusalems und des davidischen Königtums zu verstehen. Dies ist eine sehr seltsame Interpretation, vor allem wenn man bedenkt, dass es gerade Nebukadnezar war, der die Stadt zerstörte. Aus einem Wort Jesu folgerte man noch, dass die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier den Beginn der Zeiten der Heiden darstelle19.

Nach Meinung aller Historiker zerstörten die Babylonier Jerusalem im Jahre 587/6 v. Chr. Die Zeugen Jehovas aber behaupten bis heute, dass dies 607 v. Chr. geschah. Dieses Datum entspringt allerdings nicht der historischen Forschung, sondern einem fundamentalistischen Bibelverständnis, dass noch dazu mit eigenwilligen Interpretationen gepaart ist.

607 v. Chr. + 2520 ergibt 1914. Für dieses Jahr wurde im 19. Jahrhundert von C. T. Russell der Anbruch des Friedensreichs Christi auf Erden vorausberechnet. Er hatte die unsichtbare Wiederkunft Jesu für das Jahr 1874 vorhergesagt. Der Nachfolger Russells, J. F. Rutherford, erklärte dann 1914 zum Jahr der unsichtbaren Wiederkunft. In seinem Buch von 1920 „Millions now living will never die“, sagte er für 1925 die Wiederauferstehung der biblischen Erzväter voraus. Aufgrund der falschen Deutung von Matthäus 24,35 wurde behauptet, dass die Generation von 1914 nicht vergehen werde, bis das Ende des Systems der Dinge käme. In diesem Sinne wurde lange Zeit mit großer Sicherheit 1975 als das Jahr des Endes vorausgesagt.

Auch ohne weiter ins Detail zu gehen hoffen wir, mit diesen wenigen Gedanken die völlige Haltlosigkeit der gesamten Herangehensweise gezeigt zu haben.

2300 Abende und Morgen = 2300 Jahre?

Auch die Gemeinschaft der Siebten‐Tags‐Adventisten entnimmt ein für sie wichtiges Datum dem Buch Daniel. Im Kapitel 8 heißt es dort, dass Daniel ein Gesicht von einem Widder und einem Ziegenbock sieht. Das Reich der Meder und Perser (Widder) wird durch einen großen König aus Griechenland (Ziegenbock = Alexander der Große) erobert. Dessen Reich aber zerfällt. In einem der Teilreiche wird ein Frevler die Herrschaft übernehmen, der dann den Juden sogar die Ausübung ihrer Religion verbietet. Er nimmt ihnen das regelmäßige Opfer weg und entweiht in schlimmster Weise den Tempel. Noch im Rahmen der Vision fragt ein Heiliger, wie lange diese Situation andauern wird und er bekommt eine Antwort:

Und ich hörte einen Heiligen reden. Und es sprach ein Heiliger zu jemandem – dem Redenden nämlich -: Bis wann gilt die Vision von dem regelmäßigen Opfer und von dem entsetzlichen Verbrechen, dass sowohl das Heiligtum als auch der Opferdienst zur Zertretung preisgegeben sind? Und er sagte zu mir: Bis zu 2 300 Abenden und Morgen; dann wird das Heiligtum wieder gerechtfertigt. (Daniel 8,13f)

In diesen Worten deutet nichts darauf hin, dass der historische Rahmen der Vision verlassen wird. Es ergibt sich nur die Frage, ob es um 2.300 oder nur 1.150 Tage geht. Das regelmäßige Opfer, um das sich der Fragende sorgt, wurde an jedem Abend und jedem Morgen dargebracht. Von daher liegt es nahe, dass die Dauer der Tempelentweihung mit 1.150 Tage angegeben wird, was auch ziemlich genau dem tatsächlichen Ereignis unter dem Seleukidenkönig Antiochus IV. Epiphanes entspricht20.

In der darauf folgenden Auslegung der Vision wird zweimal von der Zeit des Endes gesprochen (17+19). Dieses Ende muss aber nicht das Ende der Welt sein, sondern kann sich auch auf die Zeit der Erfüllung der eben geschauten Ereignisse beziehen. Der im 19. Jahrhundert lebende amerikanische Baptistenprediger William Miller wollte die Vision jedoch auf das vermeintlich bald kommende Ende der Welt deuten. Zuerst übersah er, dass es nur um 1.150 Tage geht. Dann interpretierte er die nunmehr 2.300 Tage als eben so viele Jahre. Ein seiner Meinung nach geeigneter Zeitpunkt für den Beginn der 2.300 Jahre war das Wort des Perserkönigs Artaxerxes I., Jerusalem wieder aufzubauen. Angeblich habe Esra dies im 7. Jahr des Königs aufgeschrieben, welches nach unserer Zeitrechnung dann das Jahr 457 v. Chr. ist. Auf dieser Grundlage verkündigte er 1843 als das Jahr der Wiederkunft Christi. Als diese ausblieb, verschob er das Datum mehrfach um ein paar Monate, legte schließlich sogar den genauen Tag fest – den 22. Oktober 1844.

Die von ihm angestoßene Bewegung zerfiel zwar bald, doch hielten manche am errechneten Datum fest, gaben ihm allerdings einen neuen Inhalt. Angeblich sei Jesus 1844 ins himmlische Heiligtum eingezogen und habe mit dem Heiligungsdienst begonnen. Diese Lehre wird vor allem von den Siebten‐Tags‐Adventisten vertreten und bildet auch weiterhin die Grundlage für deren Naherwartung, ohne dass man noch wagt, ein Datum dafür zu benennen.

Es würde zu weit führen, alle Argumente Millers und der Adventisten für 1844 zu beschreiben und zu bewerten. Durch willkürliche Verbindung verschiedener Texte und deren Umdeutung kann man vieles aus den Heiligen Schriften herauslesen. All jene, die solche unnützen Methoden anwenden und damit andere, leichtgläubige Menschen verführen, werden sich am Jüngsten Tag dafür verantworten müssen.

Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter! (Matthäus 7,22f)

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Fußnoten:
  1. wahrscheinlich im letzten Jahr seines Wirkens 
  2. Diese Ansicht ist unter liberalen Theologen verbreitet. Sie widerspricht allerdings einer anderen fest verankerten Annahme in der modernen Theologie, nämlich dass ein großer Teil der Worte Jesu in den Evangelien in Wahrheit Worte von Männern aus den Gemeinden des späten ersten Jahrhunderts seien. So wird behauptet, die Christen damals hätten geglaubt, dass Jesus noch zu ihrer Lebzeit wiederkäme. Da dieses nicht geschah, habe man Jesu Worte umgedeutet oder verändert, um das Verzögern zu erklären. Warum keiner dieser kühnen und kreativen Männer einen so drastischen Irrtum wie in Matthäus 10,23 ausgemerzt hat, bleibt dann allerdings unverständlich. 
  3. Das hebräische Wort Messias bedeutet auf Griechisch „Christos“, auf Latein „Christus“, auf Deutsch “der Gesalbte“ – nach jüdischer Vorstellung jemand, der zum König gesalbt wurde. Die Erwartung eines starken politischen Führers, eines neuen Davids, war groß 
  4. siehe dazu Lukas 3,7–9 
  5. ungefähr im Jahre 65 geschrieben 
  6. Wenn man sich die Zeit als die gleichmäßig vergehenden Jahre auf einem Zeitstrahl vorstellt, könnte man  meinen, Johannes habe gedacht, das Ende aller Zeit stünde unmittelbar bevor. Im jüdischen Denken jedoch ist der Inhalt der Zeit wichtiger als ihre bloße Dauer. Es hat keine Bedeutung, wie lange es noch dauert, bis Jesus wiederkommt. Zeitliche Begriffe darf man in solchen Zusammenhängen nicht wörtlich verstehen, als ob die letzte Stunde der letzte Zeitraum der letzten Tage seien, sowenig wie die letzten Tage das Endstadium der letzten Zeit darstellen. 
  7. Juden, die zwar Jesus für den Messias hielten, jedoch das Einhalten des mosaischen Gesetzes auch für Heidenchristen als notwendig zum Heil ansahen 
  8. Sammelbegriff für aus dem Griechentum stammende Lehren, die in der materiellen Existenz den Grund für das Böse sahen. Gnostiker hatten Interesse am Christentum und verwendeten christliches Vokabular, füllten dieses aber mit eigenen, der apostolischen Lehre widersprechenden Inhalten 
  9. Lukas 12,39–40; siehe auch unter 2. 
  10. dies bedeutet nicht, dass in fernen Zeiten Leute auftreten und sich als Jesus ausgeben werden. So jemand wäre doch völlig unglaubwürdig, denn das zweite Kommen Jesu beendet die Geschichte der Menschheit 
  11. Uns ist bewusst, dass einige Aussagen des Textes auf den ersten Blick viel besser auf die Wiederkunft zu passen scheinen. 
  12. siehe dazu Lukas 2,1–3. Die antiken Schreiber dachten beim Erdkreis nicht an die uns heute bekannte Erdkugel, sondern an die damals bekannte bewohnte Erde oder gar nur an das Römische Reich 
  13. Das wird u. a. durch den Bericht des Lukas in Apostelgeschichte 2,5–11 bestätigt 
  14. siehe auch das Gleichnis von den bösen Winzern Matthäus 21,33–46 
  15. Die Rede Jesu, der die immense Bedeutung der Tempelzerstörung mit symbolhafter Sprache untermauert, darf nicht durch wörtliche Auslegung dieser Symbole als kosmische und irdische Katastrophe gedeutet werden. Auch in den Propheten finden wir ähnliches, wenn starke politische oder geistliche Veränderungen vorausgesagt werden. Vergleiche das Ende Babels in Jesaja 13,9–22, das Ende Ägyptens in Hesekiel 32,1–15 oder auch die Geistausgießung in Joel 3,1–5/Apg. 2,14–21 
  16. Uns ist bewusst, dass das gleiche Bild in Lukas 17,26–27 eine etwas andere Funktion erfüllt und im Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems steht. Einerseits wissen wir aus den Evangelien, dass Jesus manchmal gleiche oder ähnliche Bilder und Gleichnisse für unterschiedliche Zwecke verwendet hat. Andererseits ist es auch nicht auszuschließen, dass die Schreiber der Evangelien Aussagen von Jesus in verschiedenen Zusammenhängen wiedergeben. 
  17. siehe dazu unseren Artikel „Die Gemeinde im Neuen Testament“ 
  18. Die Juden teilen die Bücher des von Christen so genannten Alten Testaments in drei Gruppen: Gesetz, Propheten, Schriften. Das Buch Daniel zählt zu den Schriften (wie z. B. auch die Psalmen, die Chronikbücher und das Buch Ruth) und nicht zu den Propheten (wie Josua, Richter, Samuel, Könige, Jesaja, Jeremia, Hesekiel und das Zwölfprophetenbuch 
  19. siehe Lukas 21,24 – allerdings spricht Jesus hier über die Zerstörung der Stadt durch die Römer, die dann im Jahre 70 geschah 
  20. Dieser entweihte den Tempel, indem er im Dezember des Jahres 167 v. Chr. eine Statue des Zeus auf dem Brandopferaltar aufstellen ließ. Etwas mehr als 3 Jahre später, im Dezember des Jahres 164 v. Chr., wurde dann ein neuer Altar für Jahwe eingeweiht