Die Gemeinde im Neuen Testament

Mehr denn je müssen wir uns die Frage stellen: Warum gibt es so viele unterschiedliche Kirchen und Gemeinden? – denn das Neue Testament spricht nicht von katholischen, orthodoxen, lutherischen, calvinistischen, baptistischen, adventistischen, pfingstlerischen etc. Kirchen oder Gemeinden. Um eine zufriedenstellende Antwort dafür finden zu können, ist es das Erste und Wichtigste zu wissen, was das Neue Testament unter Kirche versteht und wie die Gemeinde nach Gottes Willen aussehen soll.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir verwenden in unseren Ausführungen die Begriffe Gemeinde und Kirche austauschbar. Im Neuen Testament gibt es diesbezüglich keine Unterscheidung.

1 Der Begriff Gemeinde (Kirche)

Die Gemeinde im Alten Testament war die Versammlung des von Gott erwählten Volkes. In 5. Mose 7,6–8 lesen wir:

Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, dass du ihm zum Volk seines Eigentums wirst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern -, sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat der HERR euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

Gott hat sich die Nachkommen Abrahams, der sich dem einen Gott gläubig anvertraute, als sein Volk erwählt. Es sollte ein Volk sein, das sich von den anderen unterscheidet, abgesondert von allem Götzendienst, von allem, was in Gottes Augen unrein und unheilig ist. Mit großer Geduld hat er sein Volk geführt, hat Richter und Propheten gesandt, die beständig zur Umkehr und zum Gehorsam mahnten. Er hat es getragen bis die Zeit erfüllt war, den Messias zu senden, den Gottesknecht, der das Licht bis zu den Enden der Erde (den Heiden) tragen sollte:

Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an für sich zum Knecht gebildet hat, um Jakob zu ihm zurückzubringen und damit Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin geehrt in den Augen des HERRN, und mein Gott ist meine Stärke geworden -, ja, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich auch zum Licht der Nationen, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde. (Jesaja 49,5–6)

Die ersten Christen sahen diese Prophetie erfüllt. Sie verstanden sich als das neue Volk Gottes, in welches Jesus Menschen aus Heiden und Juden kommend, in die Gemeinschaft mit sich und dem Vater zusammenführte. Jesus selbst sprach davon:

Und ich habe andere Schafe [Heiden], die nicht aus diesem Hof [Juden] sind ; auch diese muss ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein. (Johannes 10,16)

Der im Neuen Testament üblicherweise für die Gemeinde verwendete griechische Begriff ist ekklesia. Er leitet sich ab von ek‐kaleo, was „herausrufen“ oder „jemanden aus anderen erwählen“ bedeutet.1

Gott möchte jeden Menschen in die ewige Gemeinschaft mit sich selbst rufen. In Jesus ist dieser Ruf an die Menschen ergangen. Aus denen, die Ihn als den verheißenen Retter annahmen und seinen Fußspuren folgen wollten, entstand und besteht die Gemeinde, die Gemeinschaft der von Gott aus der Welt heraus berufenen und erwählten Gläubigen.

Zu den Gliedern der Kirche gehören alle, die von Gott in „sein Reich und seine Herrlichkeit“ berufen werden (1. Thessalonicher 2,12). Durch das Evangelium sind sie Teilhaber der „Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus“ (2. Thessalonicher 2,14). Petrus beschreibt sie als „ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1. Petrus 2,9).

Diese Worte zeigen, wie sehr sich Petrus und Paulus und ihre Glaubensbrüder der hohen Berufung bewusst waren, die all jenen Menschen zuteil wird, die durch die Nachfolge Jesu Gottes Kinder werden und so sein Volk, die Gemeinde, bilden.

2 Was zeichnet die Gemeinde aus?

Und alles hat er (der Vater) seinen (Jesu) Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Gemeinde gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt. (Epheser 1,22–23)

Im Neuen Testament lesen wir von der Gemeinde als vom Leib Christi. Da in Jesus Christus Gott Mensch geworden ist und die Gemeinde sein Leib ist, spiegelt sie in ihren Eigenschaften das Wesen Gottes wider: Wie Er heilig ist, soll auch sie heilig sein. Da Er Einer ist, ist auch sie einzig und einig. Weil Er die Liebe ist, ist auch sie auf der Liebe aufgebaut. Da Gott die Quelle der Wahrheit ist, ist auch die Gemeinde Säule und Grundfeste der Wahrheit und muss an der ein für allemal von den Aposteln überlieferten Lehre festhalten.

Die Schrift sagt auch, dass Gott Licht ist (1. Johannesbrief 1,5). So soll auch die Gemeinde das Licht der Welt sein und einer Stadt auf dem Berg gleichen, deren Licht den Menschen nicht verborgen bleibt, wie Jesus zu seinen Jüngern gesagt hat:

Ihr seid das Licht der Welt; eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein. … So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen. (Matthäus 5,14.16)

Die Gemeinde ist das sichtbare Zeugnis der zur Liebe befreienden Gnade Gottes, welche alle die Menschen für die Ewigkeit tief miteinander verbindet, die sich Ihm in Demut mit ihrem ganzen Leben anvertrauen. Wir wollen auf die einzelnen Punkte nun genauer eingehen.

2.1 Die Gemeinde ist heilig

In 1. Petrus 1,14–16 schreibt Petrus:

Als Kinder des Gehorsams passt euch nicht den Begierden an, die früher in eurer Unwissenheit herrschten, sondern wie der, welcher euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr im ganzen Wandel heilig! Denn es steht geschrieben: „Seid heilig, denn ich bin heilig“.

Diese Worte zeigen, was die Christen mit Heiligung verbunden haben: das alte Leben, das beherrscht war von Begierden, wird abgelegt, und ein neues Leben im Gehorsam gegenüber Gottes Willen beginnt. Die Heiligkeit der Gemeinde ergibt sich aus dem Wunsch jedes einzelnen Christen nach diesem Gehorsam. Auch Jesu Lebenshingabe hatte das Ziel einer reinen und heiligen Gemeinde, wie Paulus in Epheser 5,25–27 schreibt:

… wie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, sie reinigend durch das Wasserbad im Wort, damit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.

Wie sehr Gott über die Heiligkeit der Kirche wacht und wie verantwortungsvoll es ist, die Kirche zu bauen, kommt in 1. Korinther 3,16–17 zum Ausdruck:

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr.

Deshalb ist es auch die Verantwortung der Gemeinde, darüber zu wachen, dass jedes einzelne Glied zur Ehre Gottes leben möchte. Zuallererst geschieht das durch die brüderliche Liebe, die alltägliche gegenseitige Hilfe und Hingabe füreinander, die Gemeinschaft und die daraus entstehende tiefe Verbundenheit:

Seht zu, Brüder, dass nicht etwa in jemandem von euch ein böses Herz des Unglaubens sei, im Abfall vom lebendigen Gott, sondern ermuntert einander jeden Tag, solange es „heute“ heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch Betrug der Sünde! (Hebräer 3,12–13)

Wer dennoch an Sünden festhalten will, zerstört die Grundlage des Zusammenseins, denn es zeigt, dass sein Leben nicht mehr von der Liebe zu Gott und den Brüdern bestimmt ist. Jesus hat der Gemeinde die Verantwortung gegeben, in einem solchen Fall die Gemeinschaft nicht fortzusetzen, damit die betroffene Person sich nicht gänzlich in der Sünde und im Selbstbetrug verhärtet, sondern noch zur Besinnung kommt und umkehrt:

Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein! Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde! Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner! (Matthäus 18,15–17)

Wenn die Gemeinde in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes eine solche Entscheidung trifft, dann geschieht das auch mit dem Ziel, dass sie Gemeinde bleibt. Denn wenn Sünde geduldet wird, breitet sie sich aus wie Sauerteig. Davor warnt uns auch Paulus im 1. Korintherbrief 5,6:

Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?

Es ist keine Barmherzigkeit, sondern es ist Gleichgültigkeit, wenn man den Sünder, der nicht umkehren will, nicht aus der Gemeinde ausschließt, denn so schaut man zu, wie er sich mehr und mehr von Gott entfernt.

Auch Hebräer 12,14–15 warnt vor dem schlechten Einfluss der Sünde in der Gemeinde:

Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird; und achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosse und euch zur Last werde und durch sie viele verunreinigt werden …

Gott aber möchte ein reines Volk, welches sich, von seiner Gnade geleitet, in guten Werken üben und so seinen Herrn und Retter verherrlichen will und seine Wiederkunft erwartet:

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus erwarten. Der hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken. (Titus 2,11–14)

Siehe auch „Umkehr“ und „Heiligung“.

2.2 Die Einheit der Gläubigen in der Gemeinde

Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben, damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, dass auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, dass sie eins seien, wie wir eins sind – ich in ihnen und du in mir –, dass sie in eins vollendet seien, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. (Johannes 17,20–23)

Dieser Auszug aus dem Gebet Jesu stellt uns klar vor Augen, wie sehr ihm die Einheit nicht nur unter den Aposteln, sondern auch unter all denen, die durch sie Christen werden, am Herzen lag. Wir können hier auch den Weg sehen, der zu dieser Einheit führt: Er gibt uns Anteil an seiner Beziehung mit dem Vater. So können wir, geleitet von Seinem Geist, in den verschiedenen Fragen, die unseren Glauben und unser Leben betreffen, den Willen Gottes erkennen. Vorausgesetzt ist, dass jeder Gläubige sich in allem gern Gott unterordnen möchte. Darum muss jeder beständig ringen, wenn die Gemeinde bestehen soll.

Auch in den neutestamentlichen Briefen werden die Gläubigen zur Einheit aufgerufen, z. B. in 1. Korinther 1,10:

Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle einmütig redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung völlig zusammengefügt seid.

Die von Paulus hier verwendeten Worte machen deutlich, dass sich die Einheit nicht nur auf ganz grundlegende Punkte der christlichen Lehre beziehen soll, wie z. B. dass alle an Jesus als den Erlöser glauben. Das Leben und die Lehre der Christen soll in jedem Punkt von der geistgewirkten Einheit durchzogen sein, wie auch Epheser 4,1–6 ausdrückt:

Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn: Wandelt würdig der Berufung, mit der ihr berufen worden seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander in Liebe ertragend! Befleißigt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens: Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung! Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in allen ist.

Unter Christen wird die Einheit des Geistes vorausgesetzt und soll bewahrt werden. Sie war und ist eine Realität schon hier auf Erden, sonst könnte sie kein Zeichen für die Welt sein.

Die Umkehr hat bei jedem Christen zu einer grundlegenden Gesinnungsänderung geführt, nämlich sich nicht mehr vom Fleisch, das heißt von selbstsüchtigen, sündhaften Wünschen leiten zu lassen, sondern von Gottes Geist, der uns den Willen Gottes zeigt. Er ist es, der die Einheit schafft. Wenn sie unter Menschen, die sich Christen nennen, nicht vorhanden ist, dann ist das allerdings auch ein Zeichen …

Es gibt auch ein Wachstum in der Einheit, wie aus den Versen in Epheser 4,11–14 sichtbar wird:

Und er hat die einen als Apostel gegeben und andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, zur Ausrüstung der Heiligen für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Maß der vollen Reife Christi. Denn wir sollen nicht mehr Unmündige sein, hin‐ und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre durch die Betrügerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum …

Die Einheit, zu der alle hingelangen sollen, ist nicht etwas, was erst im Himmel Wirklichkeit wird. Hier geht es vielmehr darum, dass junge Christen Unterweisung brauchen für ihr geistliches Reifen. Dafür hat Jesus der Gemeinde Gaben gegeben, die die Gläubigen für ihren Dienst ausrüsten sollen. Insbesondere sollen sie fest werden in der richtigen Lehre, damit sie Irrlehren durchschauen und widerlegen können und so zur Einheit mit allen anderen Christen gelangen.

Siehe auch „Die Einheit aller Christen“.

2.3 Die Liebe unter den Christen

Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. (Johannes 13,34–35)

Jesus gab der Liebe unter den Christen eine zentrale Bedeutung. Sie werden als seine Jünger erkannt, wenn sie seinem Beispiel der Liebe folgen.

Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, was das praktisch bedeutet: nicht starke Predigten, Wunder, Dämonenaustreibungen etc. kennzeichnen die Christen. Wer seine Zugehörigkeit zu Jesus an solchen Dingen festmachen will, sei an folgendes Wort Jesu erinnert:

Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter! (Matthäus 7,22–23)

Wer also nicht die Bereitschaft hat, sein Leben für die Brüder hinzugeben, ist kein Jünger Jesu, denn die Bruderliebe ist ein Kennzeichen all jener Menschen, die die Erlösung angenommen haben. Sie ist eine Frucht der Lebenshingabe Jesu für uns, wie auch Johannes schreibt:

Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer nicht liebt, bleibt im Tod. Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder, und ihr wisst, dass kein Menschenmörder ewiges Leben bleibend in sich hat. Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben. (1. Johannes 3,14–16)

Die Lebenshingabe Jesu wird sicher an seiner Bereitschaft zum Tod am Kreuz am deutlichsten. Aber sie schließt sein ganzes Lebenswerk ein. Während seines Dienstes war er immer für seine Jünger und die Menschen, die ihn hören wollten, da.

Eine Begebenheit im Markusevangelium gibt uns Einblick in seine Hingabebereitschaft:

Und er sprach zu ihnen: Kommt, ihr selbst allein, an einen öden Ort und ruht ein wenig aus! Denn diejenigen, die kamen und gingen, waren viele, und sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen. Und sie fuhren in einem Boot allein an einen öden Ort; und viele sahen sie wegfahren und erkannten sie und liefen zu Fuß von allen Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. Und als Jesus aus dem Boot trat, sah er eine große Volksmenge und wurde innerlich bewegt über sie; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing an, sie vieles zu lehren. (Markus 6,31–34)

Die Jünger haben erlebt, wie selbstlos Jesus liebte, wie er seiner Hingabe keine Grenzen setzte, sondern in allem auf das Heil der Menschen ausgerichtet war. Diesem Beispiel in der Hingabe folgend fingen die Christen nach Pfingsten an, ihr Leben miteinander zu teilen und so ganz praktisch und alltäglich die Bruderliebe zu leben. Eine genauere Beschreibung dessen ist in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte bzw. in einem Thema über „Das Leben der ersten Christen“ zu finden.

Was wir in den heutigen sogenannten Kirchen erleben, ist von dieser Lebenshingabe weit entfernt. Wo die Bereitschaft zur „Gemeinschaft“ über das Besuchen von Veranstaltungen und ein paar gemeinsamen Freizeitaktivitäten nicht hinaus geht, kann von Liebe nicht gesprochen werden. Johannes sagt klar: „Wer nicht liebt, bleibt im Tod“ und weiter:

Geliebte, lasst uns einander lieben! Denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. (1. Johannes 4,7–8)

Siehe auch „Gott ist Liebe“ und „Was sagt die Bibel über Richten und Beurteilen“.

2.4 Die Kirche ist sichtbar

Eine in religiösen Kreisen verbreitete Ansicht ist die Irrlehre der „unsichtbaren Kirche“. Sie besagt (ganz grob erklärt), dass es in den verschiedenen religiösen Organisationen verstreut Christen gibt, „wirkliche“ Gläubige. Sie bilden die unsichtbare Kirche, die erst wenn Jesus wiederkommt, von ihm als sichtbare Gemeinde in den Himmel versammelt werden. Es wird vorausgesetzt, dass es auf Erden die „perfekte Gemeinde“ sowieso nicht geben könne.

Aus dem Neuen Testament sehen wir, dass die Gemeinde ein sichtbares Zeugnis für die Welt war und sein soll. Dabei ging es nicht um Perfektion. Damals gab es verschiedene Probleme und Herausforderungen, denen sich die Gemeinde mit Gottes Hilfe, Kraft und Führung stellen musste. Dennoch war sie nicht eine Mischung aus wenigen Gläubigen und vielen Namenschristen. In Apostelgeschichte 2,44–47 lesen wir:

Alle gläubig gewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war. Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber tat täglich hinzu, die gerettet werden sollten.

Und weiter:

Aber durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder unter dem Volk; und sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomos. Von den Übrigen aber wagte keiner, sich ihnen anzuschließen, doch das Volk rühmte sie. Aber umso mehr wurden solche, die an den Herrn glaubten, hinzugetan, Scharen von Männern und auch Frauen … (Apostelgeschichte 5,12–14)

„An den Herrn zu glauben“ bedeutete damals nicht, als Baby getauft worden zu sein, Sonntags den „Gottesdienst“ zu besuchen und sich mehr oder weniger an christliche Werte zu halten. Es bedeutete eine tief greifende Änderung des Lebens und der Überzeugungen entsprechend der Lehre Jesu, die dann auch nach außen hin deutlich sichtbar war. Wer diese Überzeugungen nicht teilte, wagte nicht, sich der Gemeinde anzuschließen.

Auch Paulus bestätigte die klare Unterscheidung und Grenze, die zwischen den Christen und allen anderen bestehen soll:

Geht nicht unter fremdartigem Joch mit Ungläubigen! Denn welche Verbindung haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn wir sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie Gott gesagt hat: „Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“ Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab!, spricht der Herr. Und rührt Unreines nicht an! Und ich werde euch annehmen und werde euch Vater sein, und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Allmächtige. (2. Korinther 6,14–18)

Die Kirche ist eine Zuversicht für alle, die Gott suchen und lieben. Sie wird das auch nur bleiben, wenn es zwischen Licht und Finsternis, zwischen richtiger und falscher Lehre, zwischen Glauben und Religiösität, zwischen Gehorsam und Verharmlosung von Sünde etc. eine klare Trennung gibt. Deshalb ermuntert Paulus dazu, sich abzusondern und nichts Unreines anzurühren, damit Gott ihr Vater sein kann.

Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich von Menschen zu trennen, die trotz vieler Hilfe von Gott und der Gemeinde an der Sünde festhalten wollen:

Ich habe euch in dem Brief geschrieben, nicht mit Unzüchtigen Umgang zu haben; nicht überhaupt mit den Unzüchtigen dieser Welt oder den Habsüchtigen und Räubern oder Götzendienern, sonst müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen. Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Unzüchtiger ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber; mit einem solchen nicht einmal zu essen. Denn was habe ich zu richten, die draußen sind? Richtet ihr nicht, die drinnen sind? Die aber draußen sind, richtet Gott. Tut den Bösen von euch selbst hinaus! (1. Korinther 5,9–13)

Wir können und sollen nicht aus der Welt hinausgehen. In der Schule oder Arbeit etc. sind wir umgeben von Menschen, die unseren Glauben nicht teilen und denen Gott nichts bedeutet. Ihnen sollen wir Licht sein (Matthäus 5,14–16). An unseren Worten und Taten sollen sie sehen, wer und wie unser Herr ist.

Aber in der Gemeinde kann es auf Dauer niemanden geben, der in der Sünde leben oder an unbiblischen Lehren festhalten will, damit sie von allem anderen, was es in der Welt gibt, unterschieden werden kann. Sie soll als der Ort erkannt werden, wo die Liebe und Dankbarkeit Gott gegenüber alles bestimmt und wohin Gott jeden Menschen führen kann, der die Wahrheit und Ihn selbst sucht.

Siehe auch „Ist die Kirche sichtbar oder unsichtbar?“.

2.5 Die Apostolizität der Kirche

Ihr seid aufgebaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus selbst Eckstein ist. In ihm zusammengefügt, wächst der ganze Bau zu einem heiligen Tempel im Herrn, … (Epheser 2,20–21)

Wenn wir von der Apostolizität der Kirche sprechen, dann meinen wir damit, dass die Kirche in ihren Lehren und in ihrem Leben treu an der Lehre und dem Vorbild des Lebens der Apostel, wie wir es aus dem Neuen Testament kennen, festhält. Jesus hat seine Lehre den Aposteln, seinen Jüngern, anvertraut. Von ihnen empfingen wir die apostolische Tradition, die Lehre des Christus. Sie ist im Neuen Testament niedergeschrieben und alles, was davon abweicht, müssen wir klar abweisen.

Jeder, der weitergeht und nicht in der Lehre des Christus bleibt, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, der hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht! Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken. (2. Johannesbrief 9–11)

Über die erste Gemeinde lesen wir, dass sie in der Lehre der Apostel verharrte (Apostelgeschichte 2,42). Den Christen damals war bewusst, dass die Apostel diejenigen waren, die von Jesus die Autorität bekommen haben, seine Lehre in die Welt hinaus zu tragen, denn er sagte:

Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! (Matthäus 28,19–20)

Die Apostel haben diesen Auftrag ausgeführt und Menschen zu Jüngern gemacht, die dann ihrerseits wiederum andere in die Nachfolge rufen konnten. Der Sendungsauftrag gilt für alle Christen, aber die Apostel legten mit der Weitergabe der Lehre Jesu, die sie im Unterschied zu allen anderen Christen direkt von ihm empfingen, die Grundlage dafür.

Auch Paulus, der in der Bibel zu den Aposteln gezählt wird, war stark darum bemüht, dass die ursprüngliche apostolische Lehre bewahrt bleibt. An Timotheus schrieb er, dass treue Menschen das Gehörte weitergeben sollen:

Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist; und was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Menschen an, die tüchtig sein werden, auch andere zu lehren! (2. Timotheus 2,1–2)

Auch aus dem Galaterbrief sehen wir, wie klar er jedes Abweichen vom Evangelium, wie es die Christen von den Aposteln empfangen haben, verurteilt:

Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell von dem, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, abwendet zu einem anderen Evangelium, wo es doch kein anderes gibt; einige verwirren euch nur und wollen das Evangelium des Christus umkehren. Wenn aber auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium entgegen dem verkündigten, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: Er sei verflucht! (Galater 1,6–8)

Diese Worte gelten für uns heute ebenso, auch wenn 2000 Jahre vergangen sind. Was damals als die eine wahre Lehre verkündet wurde, ist auch heute die wahre Lehre. Denn ebenso wenig wie Gott sich verändert, ändert sich die Wahrheit. Wenn die Gemeinde des lebendigen Gottes Säule und Grundfeste der Wahrheit ist (1. Timotheus 3, 15), dann zeigt das, welche große Bedeutung die Kirche in dieser Hinsicht hat. Deshalb müssen wir mit großem Eifer um das Festhalten an der ein für alle Mal überlieferten apostolischen Lehre ringen. In Judas 3 werden wir dazu ermuntert:

Geliebte, da ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den ein für alle Mal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.

Kurz wollen wir noch auf den Anspruch der Katholischen Kirche auf die so genannte Apostolische Sukzession eingehen. Dieser Ausdruck besagt, dass der römische Bischof als Oberhaupt der Römisch‐Katholischen Kirche (Papst) durch eine ununterbrochene Linie von Bischöfen in der direkten Nachfolge des angeblich ersten römischen Bischofs, nämlich des Apostels Petrus selbst steht.

Dazu schreibt der katholische Kirchengeschichtler Brox in seinem Buch „Kirchengeschichte des Altertums“:

Und was schließlich die überlieferte Reihe aller römischen Bischöfe seit Petrus betrifft, so gibt es zwar (bei Irenäus, Adv. haereses III 3,3) eine Liste ihrer Namen, aber sie ist erst im späten 2. Jahrhundert aufgestellt worden und beruht auf theologischen Vorstellungen, nicht auf historischen Recherchen.2

In der apostolischen Tradition stehen wir nicht aufgrund zweifelhafter Bischofslisten, sondern nur, wenn wir in unseren Glaubensinhalten mit der biblischen Lehre übereinstimmen.

2.6 Die Kirche ist katholisch (universell)

Der Begriff „katholisch“ findet sich nicht in den Schriften des Neuen Testaments. Da aber sowohl das Apostolische, als auch das Nizäno‐konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis diesen Terminus verwenden, wollen auch wir uns mit diesem oft genannten Merkmal der Kirche beschäftigen.

Seit dem frühen 2. Jahrhundert wird die Kirche „katholisch“ genannt. Dieses Wort kommt aus dem Griechischen (katholike) und bedeutet „allgemeingültig“ oder „universell“. Das entspricht den Worten Jesu in Matthäus 28,18–20:

Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.

Alle Nationen werden gerufen, alle Worte Jesu zu halten. Auch Jakobus sprach beim „Apostelkonzil“ von einem „Volk aus den Nationen“ (Apostelgeschichte 15,14).

Da die Kirche aus Menschen besteht, die durch Jesus ein neues Leben empfangen haben, ist in ihr Wirklichkeit, was Paulus in Kolosser 3,11 und Galater 3,28 ausdrückt:

Da ist weder Grieche noch Jude, Beschneidung noch Unbeschnittensein, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen. (Kolosser 3,11)

Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. (Galater 3,28)

Da Christus alles und in allen ist, ist diese „katholische“ Kirche eins. Zu allen Zeiten von den Aposteln bis hin zur Wiederkunft des Herrn, an allen Orten von Jerusalem bis zu den entferntesten Winkeln des Erdballs glaubt die Kirche an dieselbe Lehre und lebt in der selben Liebe.

Das entspricht auch der bekannten Definition des Begriffs „katholisch“ durch Vinzenz von Lérins (gestorben vor 450):

Desgleichen ist in der katholischen Kirche selbst entschieden dafür Sorge zu tragen, dass wir das festhalten, was überall, was immer und was von allen geglaubt wurde; denn das ist im wahren und eigentlichen Sinne katholisch. (Commonitorium 2)

Wenn also eine sich Kirche nennende Gruppierung Lehren hat, die nicht überall, immer und von allen geglaubt wurden, d. h. Lehren, die die Kirche nicht von Anfang an hatte, so ist diese Gruppierung nach dieser Definition nicht katholisch, mag sie diese Bezeichnung auch in ihrem offiziellen Namen führen.

Die Universalität der Kirche wird nicht durch ein weltweites hierarchisches System gewährleistet, sondern durch die Beziehung jedes einzelnen Christen zu Gott, der seine Gemeinde durch die Leitung des Heiligen Geistes erbaut.

3 Zusammenfassung

Aus dem Neuen Testament sehen wir, wie die ersten Christen Kirche verstanden und gelebt haben. Die Kirche war keine von Menschen gegründete und von einer Hierarchie zusammen gehaltene Organisation, wo man zu Veranstaltungen einlädt. Klare Kennzeichen der Kirche sind die Liebe der Christen untereinander, das Streben nach tiefer Einheit, das gemeinsame Ringen um ein heiliges Leben und das Festhalten an der Lehre der Apostel.

Gott ist in Jesus Mensch geworden, um uns die Augen zu öffnen dafür, wie wir mit unserem Leben vor Gott stehen und wie sehr Gott möchte, dass wir uns Ihm zuwenden, damit er uns unsere Schuld vergeben und ewiges Leben schenken kann. Die Liebe, Einheit und Heiligkeit in der Gemeinde sind ein Vorgeschmack des Himmels. Sie sind die Frucht dessen, dass jeder einzelne Christ sein Leben in den Dienst Gottes stellt und Gottes Geist in seinem Leben wirken lässt.

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Fußnoten:
  1. Uns ist bewusst, dass wir aus der Etymologie des Wortes „ekklesia“ allein nicht zu viel entnehmen dürfen, da dieses Wort auch für normale Bürgerversammlungen einer Stadt verwendet wird (vergleiche dazu auch Apostelgeschichte 19,40), doch wird der Aspekt des aus der Welt Herausgerufenseins auch von verschiedenen Stellen des Neuen Testaments betont, z. B.: Apostelgeschichte 2,40; Phil 2,15. 
  2. Norbert Brox: Kirchengeschichte des Altertums; Düsseldorf 3. Auflage 1989, S. 106.