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Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. (1. Mose 1,1)
Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. (1. Mose 1,27)
Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag. (1. Mose 1,31)
… da bildete Gott, der HERR, den Menschen, aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebende Seele. Und Gott, der HERR, pflanzte einen Garten in Eden im Osten, und er setzte dorthin den Menschen, den er gebildet hatte. Und Gott, der HERR, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und gut zur Nahrung, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. (1. Mose 2,7–9)
Und Gott, der HERR, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben! (1. Mose 2,16–17)
Diese Verse werfen Licht auf den Anfang der Geschichte der Welt und der Menschheit – nicht im Sinne eines naturwissenschaftlichen Berichts. Das war nicht die Absicht des inspirierten Autors. Gott will uns hier auf die geistliche Botschaft hinweisen, die in der Schöpfung liegt. Er tat es durch einen Menschen, der unter den Bedingungen schrieb, die ihm durch seine Zeit, seine Kultur, seine Sprache und Gedankenwelt vorgegeben waren. Doch die Wahrheit, die wir darin ausgedrückt finden, ist für alle Menschen aller Zeiten erkennbar, insbesondere wenn sie sich für das Wirken des Geistes Gottes öffnen.1
Gott sah, dass alles, was er geschaffen hat, sehr gut war! Daher auch der Mensch.
Doch was geschah danach? Was störte die Schöpfungsordnung und zerstörte deren Harmonie? Folgende Zeilen geben die Antwort:
Und die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte; und sie sprach zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht essen?
Da sagte die Frau zur Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir; aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essen und sollt sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt!
Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr sterben! Sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses.
Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.
Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
Und sie hörten die Stimme Gottes, des HERRN, der im Garten wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des HERRN, mitten zwischen den Bäumen des Gartens.
Und Gott, der HERR, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Da sagte er: Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, weil ich nackt bin, und ich versteckte mich. Und er sprach: Wer hat dir erzählt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, du solltest nicht davon essen?
Da sagte der Mensch: Die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß.
Und Gott, der HERR, sprach zur Frau: Was hast du da getan!
Und die Frau sagte: Die Schlange hat mich getäuscht, da aß ich.
Und Gott, der HERR, sprach zur Schlange: Weil du das getan hast, sollst du verflucht sein unter allem Vieh und unter allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens! Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen.
Zu der Frau sprach er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!
Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! – so sei der Erdboden deinetwegen verflucht: Mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!
Und der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden.
Und Gott, der HERR, machte Adam und seiner Frau Leibröcke aus Fell und bekleidete sie.
Und Gott, der HERR, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses. Und nun, dass er nicht etwa seine Hand ausstrecke und auch noch von dem Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe! Und Gott, der HERR, schickte ihn aus dem Garten Eden hinaus, den Erdboden zu bebauen, von dem er genommen war. Und er trieb den Menschen aus und ließ östlich vom Garten Eden die Cherubim sich lagern und die Flamme des zuckenden Schwertes, den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen. (1. Mose 3,1–24)
Aus den einleitend zitierten Versen aus 1. Mose 1 und 2 können wir verstehen, dass die Schöpfung den freien Willen des Menschen einschließt. Dieser freie Wille bildet die Voraussetzung für ein eigenständiges Wesen und das Zwiegespräch der Liebe. Anders gesagt: Gott erschuf den Menschen aus Liebe und mit dem Ziel, dass er lieben kann. Aber damit das Wirklichkeit werden kann, muss der Mensch mit diesem Geschenk der Schöpfungsordnung entsprechend umgehen. Das Geschenk des Lebens will mit Freude angenommen werden, es will nicht wie eine geraubte Beute, wie unser eigener Besitz behandelt werden. Sondern aus freiem Willen dürfen wir es als unsere Antwort im Dialog der Liebe unserem Schöpfer zurückgeben. Nur in diesem Verschenken seiner selbst, in diesem Abhängigsein vom Vater kann sich durch die Liebe ein Ich entwickeln, das so edel, so reich, so eigenständig ist, wie es Gott uns zugedacht hat.
So kann der Mensch in Harmonie mit seinem Schöpfer und seinen Mitmenschen, seiner Umgebung und mit sich selbst leben. Doch es ist nicht so gekommen.
Der Mensch erkannte, dass er ein eigenes Ich ist, das sich vom Schöpfer unterscheidet. Er hat sich von dieser Erkenntnis aber nicht dazu führen lassen, sich vor Ihm als der Quelle des Lebens, als seinem Herrn zu beugen. Er wollte nicht dadurch „erwachsen“ werden, dass er die Hand Gottes, die ihn zu sich erheben wollte, als die Hand seines Vaters ergriff. Er wollte sein wie Gott, das heißt, er wollte Gott sein. Er hörte auf jemanden, der seine Aufmerksamkeit auf die „große Chance“ richtete, auf das, was eine Lust für die Augen und begehrenswert war.
Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr sterben! Sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses. (1. Mose 3,4–5)
Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß. (1. Mose 3,6)
Ich muss „nur“ das tun, dass ich mich entscheide, nicht auf Gott zu hören. – Was ist denn das für ein Gott, der uns das Wissen neidisch vorenthält, es uns verbietet? – Ausgesprochen oder unausgesprochen setze ich mich dadurch an die Stelle Gottes, dass ich mich von ihm unabhängig selbst verwirklichen will. Ich stelle mich gegen ihn, wenn ich meinen eigenen Willen zum absoluten Maßstab von gut und böse mache. Mit dieser Entscheidung rebelliert der Mensch (der erste Mensch genau so wie du und ich), er wendet sich vom Leben ab, vom Glück. Er versteckt sich vor Gott. Er ist dadurch tot. Die Lawine ist losgetreten. Durch die Sünde hat die Tragödie des Menschen begonnen.
Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben. (Römer 5,12)
Die Begegnung im Garten drückt die direkte Nähe zwischen Gott und Mensch aus, die enge Beziehung zwischen ihnen. Das Leben des Menschen hat ein Ziel und eine Berufung. Durch die Arbeit im Garten sollte er über alles, was ihm anvertraut war – im guten Sinn – herrschen. Er sollte über ihn wachen, sollte an seinen Früchten teilhaben, in dem er in Harmonie mit sich selber und seiner Umgebung lebt und die Beziehung mit Gott pflegt.
Es ist die Folge der ersten Sünde, dass sich der Mensch vor Gott versteckt. Er entfremdet sich von ihm. Es packt ihn die Furcht, eine Furcht, die ihn niemand gelehrt hatte. Woher kommt sie dann? Ist sie ein eigenartiges Nebenprodukt der Materie oder ein Spiel des Schicksals? Nein. Sie ist eine natürliche Folge der Schöpfungsordnung. Der Mensch „spürt“, dass er etwas gemacht hat, das böse ist! Aber weil sich niemand gerne fürchtet, oder sich selbst eingesteht, böse zu sein, folgt so aus der einen Sünde die nächste. Er sucht eine Erklärung für seine Sünde, er schiebt sie auf andere ab. Er gibt Gott oder anderen die Schuld.
Da sagte der Mensch: Die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß. Und Gott, der HERR, sprach zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sagte: Die Schlange hat mich getäuscht, da aß ich. (1. Mose 3,12–13)
- Die Frau, die DU mir zur Seite gegeben hast (warum hast du mir auch so eine gegeben?).
– Die Frau gab mir von dem Baum.
– Die Schlange hat mich getäuscht (ja, manchmal kommen wir darauf, dass wir uns selbst, oder andere uns betrogen haben, aber leider ist es oft zu spät).
Durch die Sünde entfremdet sich der Mensch auch noch von seinen Mitmenschen. Er erniedrigt sie zu Zielen und Objekten seiner Ziele und Interessen:
Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen! (1. Mose 3,16b)
Indem der Mensch seinem Schöpfer widerspricht, widerspricht er auch seinem eigenen Wesen. Seine ursprüngliche Natur ist gespalten. Was bedeutet diese Spaltung? In der Kraft seines Geistes, den er von Gott empfangen hat, herrscht der Mensch in Zusammenarbeit mit Gott in vernünftiger Weise über sich selbst. Dadurch wird die Einheit zwischen Geist und Körper in seiner Person bewahrt. Wenn wir unseren Willen hingegen nicht auf das unendliche Gute (auf Gott) hin ausrichten, sondern auf etwas Endliches (auf uns selbst) oder sonstige weniger wichtige Dinge, dann wird unser Wille zum Sklaven unserer eigenen Götzen, anstatt Gott zu finden, der uns die Freiheit der Liebe anbieten will. Spätestens wenn wir sterben, verlieren wir alles. Dann bleibt für uns nur mehr das Nichts, unser ausgebeutetes Selbst. Das ist die Hölle!
Das ist so, wie wenn jemand in eine königliche Familie hineingeboren wird. Es ist nicht sein Verdienst. Er ist der Erbe des Königs. Und dann sagt er, als ob es nichts Natürlicheres gäbe: „Gib mir mein Erbe! Es gehört ja mir. Ich mache damit, was ich will. Dann zeige ich dir, wie man damit umgeht.“ So wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn:
Er sprach aber: Ein Mensch hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte. Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden. Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine fraßen; und niemand gab sie ihm. Als er aber zu sich kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen. Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. (Lukas 15,11–24)
Ja, er hat es geschafft, zum Trog der Schweine zu gelangen, weil er seinen eigenen Kopf durchgesetzt hat. Wir machen es auch so. So wie die Schrift es sagt: Wir haben alle gesündigt, „wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen eigenen Weg …“ (Jesaja 53,6)
Das ist nicht das Schicksal, das Gott für uns wollte. Das haben wir uns selber zuzuschreiben.
Der Mensch, der sich selbst verabsolutiert, anstatt zu sehen, dass er als Geschöpf von seinem Schöpfer abhängig ist, will vor allem seine eigenen Interessen durchsetzen. So entfremdet er sich von seiner Umgebung. Denn er sieht die Gaben der Natur, die ihm Gott geschenkt hat, auch vor allem durch seine eigenen Interessen. Er lebt nicht in Harmonie mit ihnen, wie es Gottes ursprünglicher Plan war, dass er mit seiner Vernunft über sie herrsche. Oft missbraucht er sie wie ein Tyrann oder zerstört sie.
In seiner Sünde stellt sich der Mensch gegen Gott und seinen Willen. Dadurch verursacht er seine eigene Tragödie.
Aber warum hat Gott das nicht verhindert? Warum hat er nichts getan? Doch er hat etwas getan!
… aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben! (1. Mose 2,17)
Wir alle haben das oft in unserem Leben erfahren, dass uns wenigstens die Stimme unseres Gewissens im Vorhinein gewarnt hat: „Tu das nicht!“ Trotzdem haben wir das getan. Nicht deswegen, weil es Adam getan hätte, nicht deswegen, weil uns Andere verführt haben. Wir sind gewiss beeinflusst. Aber ich sündige nicht, weil ich sündigen muss. Ich sündige, weil ich es so will.
Das aber widerspricht der Schöpfungsordnung. Das Geschöpf kann nur in der Abhängigkeit vom Schöpfer, so wie ein kleines Kind von seinen Eltern, ein volles Leben leben. Das Streben nach dieser falschen Unabhängigkeit von Gott wird durch jede einzelne Sünde ausgedrückt und bestätigt. So ist es geschehen, dass sich die Sünde im Laufe der Geschichte ausgebreitet hat (Römer 5,12–21). Eine von der Sünde geprägte Umwelt entstand, die jeden beeinflusst, und in der sich die Menschen gegenseitig in ihren sündhaften Absichten bestärken. Die Sünde wurde zu einer geschichtsmächtigen Kraft.
Wir wollen uns hier nicht eingehend mit der Irrlehre der völligen Verderbtheit des Menschen beschäftigen, die besagt, dass der Mensch völlig unfähig zum Guten sei. Wenn auch die erste Sünde, den Menschen zerstört hat, hat sie doch nicht seinen freien Willen vernichtet, durch den wir, wenn auch in abgeschwächter Weise, fähig sind, das Gute zu wählen. Das ist auch die einzige Grundlage unserer moralischen Verantwortung. Das Beispiel Kains soll hier ausreichen: „Wenn du aber nicht recht tust, lagert die Sünde vor der Tür. Und nach dir wird ihr Verlangen sein, du aber sollst über sie herrschen.“ (1. Mose 4,7) Gott lügt nicht, wenn er das dem Menschen nach dem Sündenfall sagt. Er konnte das Gute tun. Kain hat gesündigt, weil er es wollte.
Aber dass man das Gute wollen kann, ein Gott gefälliges Leben leben kann (was noch nicht Sündenlosigkeit heißt, aber zeigt, dass der Mensch nicht völlig böse ist), zeigen die Beispiele von Henoch (1. Mose 5,22–24), Noach (1. Mose 6,8–9), Abraham, Mose, die Beispiele der Propheten (Hebräer 11), das zeigen Elisabeth und Zacharias (Lukas 1,5–6) und zahlreiche weitere Beispiele zur Genüge.
Aber warum beschäftigen wir uns hier mit dieser dunklen Tragödie, mit dem Tod, mit der Lawine, die durch die Sünde ins Rollen gekommen ist, wenn doch jeder das Glück und die Seligkeit sucht? Wenn wir das wirkliche Glück finden wollen, müssen wir zuerst die Tiefe und Schwere unserer Sünden verstehen. Wir müssen unsere Sünde verabscheuen, um anfangen zu können, uns nach dem Retter zu sehnen. Wenn wir sehen, welche Katastrophen unsre Sünden hervorrufen, dann wird wenigstens der eine oder der andere anfangen, sich verzweifelt bemühen, sich zu verändern. Dann erfahren wir, wie schwach wir sind, auch wenn wir manchmal Teilerfolge erzielen. Wir seufzen:
Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? (Römer 7,24)
Wo ist nun der Retter, warum kommt er so spät? Nicht jeder würde es so ausdrücken, wohl aber ein gottesfürchtiger Jude. Ein Atheist würde die unausgesprochene Suche nach Gott als Suche nach dem Sinn des Lebens, als Sehnsucht nach dem Guten bezeichnen. Andere hingegen suchen trotz der Ungewissheit ihrer Existenz inmitten der dunklen Kälte des unendlichen Universums nach dem Ziel und Sinn ihres Lebens.
Etwas Schweres beginnt: die Konfrontation mit der Wahrheit. Laufe ich weg, oder will ich der Wahrheit weiterhin ins Auge sehen? Die Überbleibsel meines Gewissens werden durch die Sehnsucht nach dem Guten gestärkt und bezeugen: Ich kann meine Sünden nicht ungeschehen machen. Ein bedrückendes Ergebnis.
(Natürlich suchen und „finden“ wir annehmbare Erklärungen für unsere Sünden und gewähren uns selbst „gütig“ Vergebung. Wir unterdrücken unser Gewissen und wünschen uns einen falschen Frieden. Doch ist das NIEMALS dasselbe wie der Friede, den wir durch die von Gott kommende Vergebung erlangen.)
Ich fühle, dass etwas geschehen ist, das ich nicht mehr gut machen kann, wie sehr ich mich auch bemühe. Wenn ich in einer vertrauensvollen Beziehung zu einem Freund dessen Vertrauen verloren habe, kann ich durch noch so heldenhaftes Bemühen das verlorene Vertrauen nicht zurückfordern. Alles hängt am guten Willen meines Freundes. Das wird auch im oben erwähnten Gleichnis des verlorenen Sohnes anschaulich dargestellt. Nur der Vater kann den Sohn wieder aufnehmen und ihm seine Rechte wieder schenken. Um wie viel mehr ist das so bei Gott. Vor ihm kann ich nie eine Ausrede vorbringen, wie ich es einem Freund gegenüber noch tun könnte, dass er sich selbst auch etwas prüfen könnte. Aber was könnte ich dem himmlischen Vater sagen, der mich wie einen eigensinnigen, verlorenen Sohn ständig zurückerwartet (Lukas 15)? Was könnte ich ihm sagen? Er ist ja vollkommen gut. Er selbst ist die Liebe.
Ich kann hier nichts anderes tun, als mich zu beugen und zu sagen: „Vater ich habe gegen dich gesündigt“.
Nur Er, gegen den ich gesündigt habe, von dessen Liebe ich mich abgewandt habe, von dem ich mich entfremdet habe, nur er kann mich befreien, nur er kann die Beziehung, das Vertrauen, die Sohnschaft wieder herstellen. Er selber wird der Retter sein.
Wir finden dieses Versprechen schon in der Geschichte des Sündenfalls.
Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen. (1. Mose 3,15)
Der Samen der Frau, der letzte Adam, der den Kopf der Schlange zermalmt, ist der Same, der aus der Wurzel Davids hervorwächst (Jesaja 11,1–2!). Er wird eine kleine Blume sein, ein kleiner Sprössling. Er wird die Lawine der Sünde durch seine Sündenlosigkeit aufhalten können. Er wird den Stachel der Sünde durch seinen Gehorsam bis zum Tod herausreißen. Er wird uns das ewige Leben bringen, er wird das wieder herstellen, was die Sünde zerstört hat: die vollkommene Seligkeit, die Harmonie mit Gott, mit uns selbst, mit anderen …
Jesus Christus hat das getan.
Der erste Mensch hat verloren, was Gott ihm geschenkt hat, weil er wie Gott sein wollte. Der letzte Adam, Jesus Christus, wurde der Anfang, die Erstlingsfrucht einer neuen Menschheit, der Urheber neuen Lebens, dadurch, dass er darauf verzichtet hat, Gott gleich zu sein, dass er sich selbst entäußert hat …
… der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein. Aber er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist, und der Gestalt nach wie ein Mensch befunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. (Philipper 2,6–11)
Nur auf diesem Weg der Demut können wir ihm zum ewigen Leben folgen.
- Wir halten daher Diskussionen über das Wie der Entstehung des Menschen, den Ort des Paradieses etc. in diesem Zusammenhang nicht für sinnvoll. ↩