Das Kreuz Christi und Gottes Gerechtigkeit

Heutzutage nehmen viele an, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zwei einander widersprechende Eigenschaften in  Gottes Wesen seien. Man geht davon aus, dass einerseits Gottes Gerechtigkeit Strafe für Sünde fordert und er andererseits barmherzig ist, uns vergibt und er Sünder nicht strafen möchte. Die Ansicht, dass es einen Konflikt zwischen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gäbe, hat das Erlösungsverständnis vieler Menschen heute geprägt. In dieser Abhandlung wollen wir zeigen, dass es solch einen Gegenstreit innerhalb des Wesens Gottes nicht gibt, und dass Jesus auch nicht gesandt wurde, um diesen Konflikt zu lösen. Jesus wurde als Mensch geboren, lebte gehorsam, starb und erstand von den Toten, um so ein vollkommener Mittler zwischen Mensch und Gott zu sein. Er kam, um uns eine Beziehung zum Vater und zu sich selbst anzubieten – eine Beziehung, die durch das ewige Leben besiegelt wird. Die biblischen Ausdrücke  „Recht“ und „Gerechtigkeit“ müssen im Zusammenhang mit dieser Beziehung verstanden werden und nicht als ein apersonales gesetzmäßiges Prinzip, das erfüllt werden muss.

1 Gottes Gerechtigkeit, Treue und Barmherzigkeit

In den Köpfen der meisten Menschen ist der Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ mit seinem unparteiischen und unvoreingenommenen Gericht verbunden. Dieser Aspekt von Gottes Gerechtigkeit wird z. B. in folgenden Bibelstellen ausgedrückt:

Da wird der Mensch gebeugt und der Mann erniedrigt, und die Augen der Hochmütigen werden erniedrigt. Und der HERR der Heerscharen wird im Gericht erhaben sein, und Gott, der Heilige, sich heilig erweisen in Gerechtigkeit (hebräisch: zedaqah). (Jesaja 5,15–16)

Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen, weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit (griechisch: dikaiosyne) durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat allen dadurch den Beweis gegeben, dass er ihn auferweckt hat aus den Toten. (Apostelgeschichte 17,30–31)

Die Bedeutung des Wortes „Gerechtigkeit“ – hebräisch: zedaqah, griechisch: dikaiosyne -, das in den hier zitierten Bibelstellen vorkommt, ist nicht auf ein „unparteiisches und unvoreingenommenes Gericht“ beschränkt. Das sollte uns nicht überraschen, wenn wir den Reichtum des Wesens Gottes als Ausgangspunkt unserer Überlegungen nehmen. Wenn wir Gottes Gerechtigkeit verstehen wollen, dann müssen wir von dem Fakt ausgehen, dass Gott Liebe ist (1. Johannes 4,16). Es gibt keinen Widerspruch im Wesen Gottes. Deshalb können wir Gottes Gerechtigkeit1 nicht von seiner Barmherzigkeit, Treue, Güte, Gnade und Vergebung trennen und auch nicht im Gegensatz dazu sehen – da alle diese Eigenschaften gerade seine Liebe ausdrücken.
Für Juden zu biblischen Zeiten waren diese Begriffe auch keine Widersprüche, sondern in ihrer Sprache – im Hebräischen – hatte das Wort „Gerechtigkeit“ eine breitere Bedeutung und drückte in verschiedener Weise die Beziehung zwischen Gott und Mensch aus. Ein Punkt sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Als die Juden das Alte Testament vom Hebräischen ins Griechische übersetzten (diese Übersetzung wird Septuaginta genannt), übersetzten sie das hebräische Wort für Gerechtigkeit zedaqah meist mit dem griechischen Wort dikaiosyne (das übliche griechische Wort für „Gerechtigkeit“), manchmal aber auch mit einem Wort, das „Barmherzigkeit„2 bedeutet. An einigen anderen Stellen übersetzten sie das hebräische Wort für „Gnade“ (chäsäd) ins Griechische mit dikaiosyne (was „Gerechtigkeit“ bedeutet).3 Sie hatten die Freiheit, verschiedene Wörter dafür zu wählen, da sie keinen Widerspruch zwischen Gerechtigkeit, Gnade und Barmherzigkeit sahen.4

Unser Anliegen ist es, an Hand einiger biblischer Beispiele aufzuzeigen, wie Gottes Gerechtigkeit mit seiner Treue, Hilfe, Güte und seiner Barmherzigkeit verbunden sind.

Wir möchten dabei das Leben eines Gerechten in der Zeit des Alten Testaments herausgreifen, um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen:

Danach machte David sich auf, ging aus der Höhle hinaus und rief hinter Saul her: Mein Herr und König! Und Saul sah sich um, und David neigte sein Gesicht zur Erde und warf sich nieder. Da sagte David zu Saul: Warum hörst du auf die Worte von Menschen, die sagen: Siehe, David sucht dein Unglück? Siehe, an diesem Tag haben deine Augen gesehen, dass der HERR dich heute in meine Hand gegeben hat in der Höhle. Und man drängte mich, dich umzubringen. Aber ich habe dich verschont und dachte: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen, denn er ist der Gesalbte des HERRN! … Und es geschah, als David diese Worte an Saul beendet hatte, sagte Saul: Ist das nicht deine Stimme, mein Sohn David? Und Saul erhob seine Stimme und weinte. Dann sagte er zu David: Du bist gerechter als ich. Denn du hast mir Gutes erwiesen, ich aber habe dir Böses erwiesen. (1. Samuel 24,9–11.17–18)

Getrieben von Eifersucht verfolgte der König Saul David bis in die Wüste. Unterwegs ging Saul in eine Höhle, um seine Notdurft zu verrichten. Er war sich nicht bewusst, dass David sich in dieser Höhle versteckt hielt – eine einzigartige Gelegenheit für David, seinen Erzfeind zu vernichten und ihm gerechterweise seine Taten zu vergelten. Seine Begleiter forderten ihn auf zu handeln: „Da sagten die Männer Davids zu ihm: Siehe, das ist der Tag, von dem der HERR zu dir gesagt hat: Siehe, ich werde deinen Feind in deine Hand geben, damit du mit ihm tun kannst, wie es gut ist in deinen Augen. Und David stand auf und schnitt heimlich einen Zipfel von dem Oberkleid Sauls ab.“ (1. Samuel 24,5) David handelte gerecht, aber nicht in dem Sinne, dass er Saul gerechterweise strafte. Es schlug ihm das Herz (Vers 6), denn er wollte Saul auf keinen Fall in irgendeiner Weise schaden. David war barmherzig und zeigte damit, dass er nur das Beste für Saul wollte, auch wenn er es nicht verdient hatte. Durch Davids Barmherzigkeit erkannte Saul, dass David „gerechter“ war als er. Wenn David, ein gottesfürchtiger Mann, keinen Widerspruch darin sah, barmherzig gegenüber Saul zu sein, obwohl er ihn gerechterweise hätte strafen können, um wie viel weniger steht für den Vater der Erbarmungen5 Gottes Gerechtigkeit im Gegensatz dazu, den Menschen gegenüber barmherzig zu sein, die es nicht verdient haben?

1.1 Gottes Gerechtigkeit gegenüber seinem Volk

In einer der schwersten Zeiten der jüdischen Geschichte betete Daniel für sein Volk:

HERR! Bei uns ist die Beschämung des Angesichts, bei unseren Königen, unseren Obersten und unseren Vätern, weil wir gegen dich gesündigt haben. Bei dem Herrn, unserem Gott, ist das Erbarmen und die Vergebung. Denn wir haben uns gegen ihn aufgelehnt … Und so war der HERR auf das Unglück bedacht und ließ es über uns kommen. Denn der HERR, unser Gott, ist gerecht in allen seinen Taten, die er tut. Aber wir haben nicht auf seine Stimme gehört.  (Daniel 9,8–9.14)

Dann setzt er fort:

Wir haben gesündigt, wir haben gottlos gehandelt. Herr, nach all den Taten deiner Gerechtigkeit mögen doch dein Zorn und deine Erregung sich wenden von deiner Stadt Jerusalem, dem Berg deines Heiligtums! Denn wegen unserer Sünden und wegen der Vergehen unserer Väter sind Jerusalem und dein Volk zum Hohn geworden für alle rings um uns her. (Daniel 9,15b-16)

Im hebräischen Text kommt das Wort “gerecht” in den Versen 14 und 16 vor. In Vers 14 spricht er über Gottes Gericht, während in Vers 16 Daniel, der auf Gottes Treue seinem Bund gegenüber vertraut, Gott entsprechend seiner gerechten Taten um Barmherzigkeit bittet. Er tut dies, weil im Alten Testament Gottes Gerechtigkeit nicht auf sein unvoreingenommenes Gericht begrenzt ist. Es drückt seine Treue seinem Bund und seinen Verheißungen gegenüber aus. Seine Gerechtigkeit wird dadurch noch größer, weil er treu bleibt, auch wenn sein Volk untreu ist. Er vergibt ihnen und erfüllt seine Verheißungen, obwohl sein Volk versagt hatte.

An einer anderen Stelle sagt Gott:

Hört mir zu, ihr trotzigen Herzen, die ihr ferne seid von der Gerechtigkeit! Ich habe meine Gerechtigkeit nahe gebracht; sie ist nicht ferne und mein Heil zögert nicht. Und ich gebe in Zion Heil, für Israel meine Herrlichkeit. (Jesaja 46,12–13)

Die Juden werden als trotzig und fern von der Gerechtigkeit gesehen. Sie waren unwürdig, Gottes Vergebung zu bekommen. Trotzdem sagt Gott ihnen in seiner Treue und Liebe das Heil und seine Herrlichkeit zu. In diesem Text wird Gottes Gerechtigkeit mit seiner Erlösung gleichgesetzt und steht hier nicht für Gericht.

Sowohl an dieser als auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Juden keinen Widerspruch zwischen Gottes Gerechtigkeit und seiner Gnade bzw. Vergebung gesehen haben. Im Gegenteil – durch seine Barmherzigkeit bestätigt Gott seine Gerechtigkeit, weil er dadurch seine Treue beweist, auch wenn sein Volk untreu ist.6

Als Gott mit seinem Volk einen Bund schloss, versprach er, mit ihnen zu sein, sie zu führen und sich ihnen zu offenbaren. Daraufhin versprachen auch die Juden, ihm zu gehorchen, ihm zu folgen und treu zu sein, indem sie keine anderen Götter neben ihm haben würden. Diese Treue – von Seiten Gottes und des Menschen – wird in der Bibel auch “Gerechtigkeit“ genannt. Es ist gerecht, wenn Gott und Menschen so handeln, wie sie es einander versprochen haben.7

1.2 Gottes Gerechtigkeit gegenüber einzelnen Menschen im Alten Testament

Einige Menschen im Alten Testament geben Zeugnis von Gottes Gerechtigkeit, die sie durch Vergebung und Gnade erfuhren. In einem Psalm heißt es:

Sei mir gnädig, Gott, nach deiner Gnade; tilge meine Vergehen nach der Größe deiner Barmherzigkeit! (Psalm 51,3)

Diese Worte sind eine Bitte um Vergebung aufgrund einer schwerwiegenden Sünde. Der Schreiber des Psalms wusste, dass er als Sünder kein Recht auf Gnade hatte, und dass Gottes Gericht gerecht sein wird:

Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt und getan, was böse ist in deinen Augen; damit du im Recht bist mit deinem Reden, rein erfunden in deinem Richten. (Psalm 51,6)

Der Psalmist, in tiefer Reue über seine Sünden, vertraut allein auf Gottes Barmherzigkeit. Ihm ist klar, dass er Gott keine Wiedergutmachung für seine Sünden anbieten kann. Er kann allein darauf hoffen, dass ihm Gott seine Sünden aus unverdienter Gnade heraus vergibt.

Rette mich von Blutschuld, Gott, du Gott meines Heils, so wird meine Zunge deine Gerechtigkeit jubelnd preisen. Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund dein Lob verkünde. Denn du hast keine Lust am Schlachtopfer, sonst gäbe ich es; Brandopfer gefällt dir nicht. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. (Psalm 51,16–19)

Die Zuversicht des Psalmisten lässt ihn freudig über Gottes Gerechtigkeit singen. Wenn Gott Gnade gewährt, zeigt das seine Treue und bestätigt seine Gerechtigkeit.

Ebenso können wir in einem anderen Psalm lesen, dass der Schreiber sich seiner vielen  Sünden tief bewusst war. Dennoch bittet er Gott, dass er ihn nach seiner Treue, Güte, Erbarmen und Erlösung bewahrt. Er verkündet vielen zur Ermunterung, dass darin Gottes Gerechtigkeit liegt:

Ich habe Gerechtigkeit verkündet in großer Versammlung; siehe, meine Lippen hemmte ich nicht – HERR, du weißt es! Deine Gerechtigkeit habe ich nicht verborgen im Innern meines Herzens; deine Zuverlässigkeit und deine Hilfe habe ich ausgesprochen, deine Gnade und deine Treue nicht verhehlt vor der großen Versammlung. Du, HERR, wirst dein Erbarmen nicht von mir zurückhalten; deine Gnade und deine Treue werden beständig mich behüten! Denn Übel bis zur Unzahl haben mich umgeben, meine Sünden haben mich erreicht, dass ich nicht aufzublicken vermag; zahlreicher sind sie als die Haare meines Hauptes, und mein Herz hat mich verlassen. (Psalm 40,10–13)

Psalm 103 ist ein Loblied auf Gottes Barmherzigkeit. Vers 6 spricht von Gottes Gerechtigkeit denen gegenüber, die in Bedrängnis sind.

Der HERR verschafft Gerechtigkeit und Recht allen, die bedrückt werden. (Psalm 103,6)

Gottes Gerechtigkeit kommt auch in der Ermahnung eines Sünders zum Ausdruck. Doch weil seine Liebe, Geduld und Gnade so groß sind, wird er nicht für immer zürnen:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, langsam zum Zorn und groß an Gnade. Er wird nicht immer rechten, nicht ewig zürnen. Er hat uns nicht getan nach unseren Vergehen, nach unseren Sünden uns nicht vergolten. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so übermächtig ist seine Gnade über denen, die ihn fürchten. (Psalm 103,8–11)

Für die, die Gott fürchten, verbindet sich seine Gerechtigkeit mit seiner Gnade:

Die Gnade des HERRN aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, seine Gerechtigkeit bis zu den Kindeskindern (Psalm 103,17)

Durch Gottes Gerechtigkeit haben Gläubige Hoffnung auf Erlösung.

Bei dir, HERR, habe ich mich geborgen; lass mich niemals zuschanden werden; rette mich in deiner Gerechtigkeit! (Psalm 31,2)

Der Psalmist wusste, dass er aufgrund seiner eigenen Sünden die Hilfe, die er bekam, nicht verdient hatte.

Denn in Kummer schwindet mein Leben dahin und meine Jahre in Seufzen; meine Kraft wankt durch meine Schuld, und es verfallen meine Gebeine. (Psalm 31,11)

Seine Hoffnung war in Gottes Treue gegründet, die er durch seine Gnade immer wieder erfuhr.

1.3 Gottes Gerechtigkeit im Neuen Testament

Das Neue Testament lehrt uns ebenso, dass Gott treu und gerecht ist und uns vergibt.

Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit. (1. Johannes 1,9)

Gott braucht niemandem Rechenschaft darüber ablegen, dass er gütig ist. Das wird auch im Gleichnis mit den Arbeitern im Weinberg ausgedrückt, wenn der Herr des Weinberges sagt:

… Nimm das Deine und geh hin! Ich will aber diesem Letzten geben wie auch dir. Ist es mir nicht erlaubt, mit dem Meinen zu tun, was ich will? Oder blickt dein Auge böse, weil ich gütig bin? (Matthäus 20,14–15)

Nach menschlichen Maßstäben scheint es ungerecht zu sein, dass derjenige, der nur eine Stunde arbeitete, den gleichen Lohn erhielt wie der, der sich zwölf Stunden abmühte. Aber Gott ist nicht an menschliche Maßstäbe gebunden. Seine Großherzigkeit, Güte und Liebe gehen weit über alle menschlichen Erwartungen von Gerechtigkeit und Belohnung hinaus.

Jesus lehrt uns, zum Vergeben bereit zu sein, ohne eine Gegenleistung oder Wiedergutmachung zu erwarten.

Dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal? Jesus spricht zu ihm: Ich sage dir: Nicht bis siebenmal, sondern bis siebzigmal siebenmal!
Deswegen ist es mit dem Reich der Himmel wie mit einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Als er aber anfing abzurechnen, wurde einer zu ihm gebracht, der zehntausend Talente schuldete. Da er aber nicht zahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Der Knecht nun fiel nieder, bat ihn kniefällig und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen. Der Herr jenes Knechtes aber wurde innerlich bewegt, gab ihn los und erließ ihm das Darlehen. Jener Knecht aber ging hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war. Und er ergriff und würgte ihn und sprach: Bezahle, wenn du etwas schuldig bist! Sein Mitknecht nun fiel nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir, und ich will dir bezahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. Als aber seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr betrübt und gingen und berichteten ihrem Herrn alles, was geschehen war. Da rief ihn sein Herr herbei und spricht zu ihm: Böser Knecht! Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest. Solltest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmt haben, wie auch ich mich deiner erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebt. (Matthäus 18,21–35)

Die Schuld, die der Knecht gegenüber dem König hatte, war unbezahlbar.8 Niemand würde den König dafür anklagen, dass er ungerecht sei, wenn er gütigerweise seinem Schuldner die Schulden erlässt. Wenn wir über die Barmherzigkeit des Königs hören, brennt unser Herz vor Freude, und wir stimmen dem zu – ja, das ist gerecht, so ist es gut.

Jesus lehrte uns auch zu beten:

… und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben (Matthäus 6,12)

Wenn Gott von uns fordert, dass wir freimütig vergeben, ist er dann nicht in der Lage, das Gleiche auch zu tun? Das Gleichnis über den König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte, zeigt, dass der König sehr wohl dazu fähig war zu vergeben, ohne eine Gegenleistung zu fordern, was er auch tat.

2 Wem kann vergeben werden?

Wenn Gott gütiger Weise vergeben kann, warum vergibt er dann nicht jedem? Jesaja lehrt uns, dass ein unbußfertiger Mensch Gottes Gnade missbrauchen würde, wenn er sie erführe:

Wird dem Gottlosen Gnade zuteil, lernt er nicht Gerechtigkeit; im Land der Geradheit handelt er unrecht und sieht nicht die Hoheit des HERRN. (Jesaja 26,10)

Wenn ein böser Mensch Vergebung erführe, dann würde es ihn in seiner Bosheit bestärken. Ihm zu vergeben würde dann nur dazu führen, dass er die Vergebung missbraucht. Gott vergibt diesem Menschen nicht, da er das Böse nicht unterstützen möchte. Er vergibt nicht jedem.

… wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben. (Matthäus 6,15)

 … wenn aber jemand gegen den Heiligen Geist reden wird, dem wird nicht vergeben werden, weder in diesem Zeitalter noch in dem zukünftigen. (Matthäus 12,32b)

Er vergibt denen, die sich demütigen, ihre Sünden bekennen und von Gottes Gerechtigkeit lernen, denn das ist die rechte Antwort auf seine Gnade.

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf (Titus 2,11–12)

Jesu Ziel war es, uns Gott näher zu bringen und Reue für unsere Sünden und  Liebe zu Gott in uns zu wecken. Das erlebte auch eine Frau in der folgenden Situation:

Es bat ihn aber einer der Pharisäer, dass er mit ihm essen möge; und er ging in das Haus des Pharisäers und legte sich zu Tisch. Und siehe, da war eine Frau in der Stadt, die eine Sünderin war; und als sie erfahren hatte, dass er in dem Haus des Pharisäers zu Tisch lag, brachte sie eine Alabasterflasche mit Salböl, trat von hinten an seine Füße heran, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen, und trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes. Dann küsste sie seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. Als aber der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so würde er erkennen, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sagt: Lehrer, sprich! -
Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner; der eine schuldete fünfhundert Denare, der andere aber fünfzig;  da sie aber nicht zahlen konnten, schenkte er es beiden. Wer nun von ihnen wird ihn am meisten lieben?  Simon aber antwortete und sprach: Ich nehme an, der, dem er das meiste geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und sich zu der Frau wendend, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; sie aber hat, seitdem ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat mit Salböl meine Füße gesalbt. Deswegen sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. (Lukas 7,36–47)

Sie war in Sünden gefangen und hatte zu wenig Kraft, ihre Situation zu ändern. Angeprangert von den „frommen“ Juden schien es keine Hoffnung für sie zu geben. Wahrscheinlich hatte sie Jesus schon irgendwo reden hören und wurde durch die Begegnung mit ihm von dem Wunsch nach reiner Liebe und wirklichem Leben erfüllt. Sie zögerte nicht, das zum Ausdruck zu bringen. Sie wollte nicht mehr sündigen und drückte ihre Bereitschaft zur Umkehr aus. Deshalb konnte ihr vergeben werden. Das gleiche Angebot ist auch für uns gültig. Wenn wir dem Ruf Jesu folgen – wie diese Frau es tat – dann können auch wir seine Vergebung erfahren.

3 Hat Gott Jesus verlassen?

Es ist eine unter religiösen Menschen weit verbreitete Ansicht über Erlösung, dass es für Gott unmöglich sei, zugleich einerseits gerecht zu sein und andererseits Sünden ungestraft zu lassen. Gott hätte, aufgrund seiner Liebe uns gegenüber, uns vor dieser Strafe retten wollen, strafte aber stattdessen seinen eigenen Sohn, indem er ihn in der schwierigsten Situation seines Lebens – am Kreuz – verließ, indem er ihn statt uns als Sünder betrachtete. Diese Auffassung über Jesu Tod wurde (mit ein paar Abweichungen) stark durch die Theologen Martin Luther9 und Johannes Calvin10 geprägt. In vielen religiösen Gruppen wird die Erlösung mit einer Situation, wie wir sie von Gerichtsprozessen kennen, verglichen, in denen der Richter verpflichtet ist, sich den Gesetzen des Staates unterzuordnen und er als ungerecht gilt, wenn er einen Kriminellen freisprechen würde. Wir zeigten bereits, dass Gottes Gerechtigkeit eine andere ist, die nicht Strafe fordert, wenn ein Sünder seine Sünden bereut. Nun möchten wir uns einige Bibelstellen genauer anschauen, die oft zur Unterstützung dieser Ansicht angeführt werden, dass Jesus, als Strafe für unsere Sünden, geistlich von Gott verlassen worden wäre.

3.1 Die letzten Worte Jesu am Kreuz

Einige seiner letzten Worte, die Jesus sagte, als er am Kreuz hing, finden wir in Matthäus und Markus:

… Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Matthäus 27,46b)

Jesus zitierte diese Worte aus Psalm 22. Der Zusammenhang des gesamten Psalms wird uns helfen, den Inhalt seiner Worte zu verstehen. Am Anfang des Psalms (Vers 2) schreit der Psalmist: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fern von meiner Rettung sind die Worte meines Gestöhns.“ Er erinnert sich an die jüdischen Väter, die auf wunderbare Weise Gottes Hilfe erfuhren: „Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du rettetest sie“ (Vers 5). Aber bisher machte er noch nicht die gleiche Erfahrung: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk“ (Vers 7). Er erträgt harte Verfolgung durch böse Menschen: „Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben“ (Vers 17). Er bittet Gott, ihn daraus zu erretten: „Errette vom Schwert meine Seele, meine einzige aus der Gewalt des Hundes“ (Vers 21) und Gott hört sein Gebet: „Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut das Elend des Elenden, noch sein Angesicht vor ihm verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er“ (Vers 25). Der Psalm endet mit einem Lob Gottes. Wenn wir den Zusammenhang des Psalms näher betrachten können wir sehen, dass

  • verlassen zu sein nicht heißt, geistlich verlassen zu sein, sondern dem Leid ausgesetzt zu sein, und
  • dass die Worte „warum hast du mich verlassen?“ kein verzweifelter Schrei ohne Antwort waren, sondern ein Gebet, das erhört wurde.

In einer Situation, in der es aus menschlicher Sicht der Dinge so scheinen könnte, als ob Gott Jesus verlassen hätte, betete Jesus dieses Gebet aus vollem Vertrauen auf Gottes Errettung. Seine Worte zeigen, dass das unverdiente Leiden gerechter Menschen ein wiederkehrendes Thema in der Bibel ist und er als der vollkommen Gerechte das Leid in Übereinstimmung mit der Botschaft des Alten Testamentes erfuhr. Jesus hatte nicht mehr die körperliche Kraft, den gesamten Psalm zu zitieren, aber die, die ihm zuhörten, kannten den Zusammenhang seiner Worte. Sie wussten, dass Jesus mit diesen Worten seine Gerechtigkeit und Zuversicht auf Gottes Errettung zum Ausdruck bringt. Das wird noch deutlicher, wenn wir diese Worte mit Jesu letzten Worten im Lukasevangelium vergleichen, die voller Zuversicht Gott gegenüber waren.

Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist! (Lukas 23,46a)

Der Hauptmann, der in der Nähe des Kreuzes Jesu stand und sah, wie er starb, gab Zeugnis über ihn:

Als aber der Hauptmann, der ihm gegenüber dabeistand, sah, dass er so verschied, sprach er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!  (Markus 15,39)

Ein Mensch, der von Gott verlassen wurde, wäre nicht von dem Hauptmann als Sohn Gottes erkannt worden. Wenn er verlassen worden wäre, wäre Jesus nicht fähig gewesen, Zeugnis in dieser Weise ablegen zu können. In der Parallelstelle in Lukas bezeugt der Hauptmann, dass Jesus gerecht war (Lukas 23,47). Das macht auch deutlich, dass Jesus nicht als Sünder starb, der von Gott verlassen wurde.

Kurz vor seinem Tod drückte Jesus aus, dass der Vater ihn niemals verlassen würde.

Siehe, es kommt die Stunde und ist gekommen, dass ihr euch zerstreuen werdet, ein jeder in seine Heimat und mich allein lassen werdet; doch ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. (Johannes 16,32)

3.2 Er trug unsere Sünden

Jesus erfüllte die folgenden Worte:

Jedoch unsere Leiden – er hat sie getragen, und unsere Schmerzen – er hat sie auf sich geladen. Wir aber, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. (Jesaja 53,4–5)

Dieser Text gehört zu den vier Jesajaprophetien (Jesaja 42,1–9; 49,1–13; 50,4–11; 52,13–53,12), in denen der Prophet den Messias „Knecht des Herrn (Gottesknecht)“ nennt. Schritt für Schritt werden der Charakter und der Auftrag des Knechtes offenbart. In seinem letzten Gottesknechtslied, das oben zitiert wurde, hören wir zum ersten Mal in der Bibel, dass der Messias unsere Ungerechtigkeit und Trübsal tragen wird. Die Sünden der Menschen zu tragen heißt keinesfalls, dass er geistlich von Gott getrennt wäre. Die Worte des Gottesknechtes zeigen, dass Gott ihm auch in seinem Leid nahe ist:

Aber der Herr, HERR, hilft mir. Darum bin ich nicht zuschanden geworden, darum habe ich mein Gesicht hart wie Kieselstein gemacht. Ich habe erkannt, dass ich nicht beschämt werde. Nahe ist, der mir Recht schafft: Wer will mit mir einen Rechtsstreit führen? Lasst uns zusammen hintreten! Wer ist mein Rechtsgegner? Er trete her zu mir! (Jesaja 50,7–8)

Menschen, die um ihn standen und ihn in seinem Leiden beobachteten, „hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt.“ (Jesaja 53,4) Aber die Prophetie offenbart, dass diese Auslegung falsch ist. Gott ist nicht derjenige, der zornerfüllt seinen Knecht zermalmt, sondern derjenige, der ihn der Bosheit der Menschen aussetzt, indem er ihn in eine verdorbene Welt mit einem guten Ziel sendet. Der nächste Vers drückt das in folgenden Worten aus:

Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen eigenen Weg; aber der HERR ließ ihn treffen unser aller Schuld. (Jesaja 53,6)

Unsere Vergehen werden nicht in magischer Weise von uns auf den Knecht übertragen. Es gibt hier direkte Auswirkungen der Sünden der Menschen auf den Knecht. Er kommt in unsere Welt, um uns mit Gott zu versöhnen. Dadurch wird er aber auch mit der Bosheit der Menschen konfrontiert und ihr ausgesetzt.

Wenn Jesaja 53,6 sagt, dass der HERR ihn unser aller Schuld treffen ließ, dann möchte der Prophet ausdrücken, dass der Herr den Einfluss der Sünden der Menschen auf seinen Knecht in Kauf nahm und ganz bejahte. Nichts auf dieser Erde geschieht, ohne dass Gott es weiß und zulässt. In ähnlicher Weise beschreibt Paulus, dass Gott das Kommen des  Gesetzlosen zulassen wird:  Und deshalb sendet ihnen Gott eine wirksame Kraft des Irrwahns, dass sie der Lüge glauben (2. Thessalonicher 2,11). Im 21. Jahrhundert in unserer westlich geprägten Welt klingt es eigenartig, wenn Gottes Wirken in dieser Weise dargestellt wird. Es ist jedoch eine Tatsache, dass Juden manchmal eine aktive Form gebrauchten, um auszudrücken, dass Gott etwas zuließ. Damit machten sie deutlich, dass die Situation nicht seinen Händen entglitt.

Matthäus zitiert Jesaja 53 in seinem Evangelium im Zusammenhang mit Jesu Heilungen:

Als es aber Abend geworden war, brachten sie viele Besessene zu ihm; und er trieb die Geister aus mit seinem Wort, und er heilte alle Leidenden, damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: „Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.“ (Matthäus 8,16–17)

Jesu Heilungen und Wunder waren ein Zeichen dafür, dass das Reich Gottes nahe herbei gekommen ist, und drückten die geistliche Erneuerung des gefallenen Menschen aus. Gott steht unserem Leid nicht gleichgültig gegenüber. Er erniedrigte sich, indem er Mensch wurde und uns diente. Das ist auch mit folgenden Worten gemeint: „Jedoch unsere Leiden – er hat sie getragen, und unsere Schmerzen – er hat sie auf sich geladen.“ (Jesaja 53,4) Er selbst wurde nicht krank und wurde auch nicht Sünder, sondern er verließ seine Herrlichkeit, kam uns ganz nahe, um uns vom Leiden und Tod zu befreien.

Jesu Verbundenheit mit der Menschheit ging sogar noch einen Schritt weiter. Obwohl er selbst kein Sünder war, ließ er sich wie der schlimmste Übeltäter behandeln. Trotz seiner Unschuld wurde er als Verbrecher und Gesetzesübertreter hingerichtet. Jesaja beschreibt das mit den Worten: „Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden“ (Jesaja 53,5). Jesus wurde von den Menschen in einer Weise bestraft, dass er wie ein von Gottes Zorn Getroffener erschien. Aber diese Strafe kam nicht von Gott. Im Gegenteil: Gott hat das Böse, das die Menschen getan haben, zum Guten gewendet. Sein Leid dient zu unserem Frieden.11
Ähnliches drückt Paulus auch im Galaterbrief aus:

Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist – denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!“ (Galater 3,13)

Paulus bezog sich auf die alttestamentliche Stelle im 5. Mose 21,22–23. In diesem Text heißt es: “ […]Denn ein Aufgehängter ist ein Fluch Gottes.“ Paulus  lässt hier das Wort „Gott“ weg, weil Jesus gerade nicht vom Vater am Kreuz verflucht wurde, sondern ihm in seinem Leiden nahe war. Er wurde nicht ein Sünder, sondern er litt WIE ein Sünder. Der alttestamentliche Zusammenhang im 5. Mose 21 setzt voraus, dass der Hingerichtete gerechterweise verurteilt wurde – was aber im Fall Jesu nicht stimmte.

Einige jüdische Irrlehrer versuchten die Christen in Galatien dahingehend zu beeinflussen, dass sie das Gesetz halten sollten, obwohl sie als Heiden von Gott aufgrund ihres Glaubens und ohne das Gesetz  angenommen wurden. Paulus warnt sie, dass wenn sie es jetzt beginnen zu halten, dass sie „aus der Gnade gefallen sind“ (Galater 5,3–4). In diesem Zusammenhang spricht Paulus über das Gesetz so, als ob es aus einer Ansammlung von Regeln bestehen würde und nicht auf Glauben gegründet wäre (Galater 3,12). Wenn man das Gesetz in diesem engeren Sinn betrachtet, dann verdammt es jeden, „der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist“ (Galater 3,10) und so gesehen auch „jeder, der am Holz hängt“ – auch Christus.

Zusammenfassend kann gesagt werden:

Christus erlöste uns von Fluch des Gesetzes durch das Annehmen des Kreuzes. Die Kreuzigung selbst war eine Todesart, die für einen verurteilten Verbrecher bestimmt war. Von Menschen verachtet und sogar „verflucht“ – entsprechend den zitierten Versen, zeigte er uns, was es heißt, aus Glauben zu leben und hat uns frei gemacht vom Gesetz. Die Galater, die darin versucht waren, ihre Zuversicht im Gesetz zu suchen, müssen durch diese Gedanken beschämt worden sein.  Während er die Ungerechtigkeit der Menschen trug, büßte er nicht seine eigene Gerechtigkeit ein.

… Durch seine Erkenntnis wird der Gerechte, mein Knecht, den Vielen zur Gerechtigkeit verhelfen, und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen. (Jesaja 53,11b)

Jesus verlor nie Gottes Gunst und Gegenwart in seinem Leben. Ohne Gottes Hilfe, verlassen in der schwierigsten Situation seines Lebens, um allein darin zu kämpfen, wäre er eher ein Held als ein Mann des Glaubens gewesen. Das war niemals seine Absicht. Jesu Zeugnis war, dass wir mit Gott und nur mit Gott allen Versuchungen und Anfechtungen widerstehen können. Wie hätte Jesus kämpfen und mit Gottes Hilfe annehmen können, dass er sich in eine extrem schwere Situation begeben sollte, von der er wissen konnte, dass Gott ihn verlassen würde?
Jesus sagte:

Und der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue. (Johannes 8,29)

Wäre es nicht die größte Ungerechtigkeit, einen völlig unschuldigen sündlosen Menschen zu verlassen?

Denn der HERR liebt Recht und wird seine Frommen nicht verlassen; ewig werden sie bewahrt (Psalm 37,28a)

Sollte Gottes Gerechtigkeit durch die größte Ungerechtigkeit erfüllt werden? Im Alten Testament offenbart Gott seine Abscheu über Menschenopfer (Jeremia 7,31). Die Vorstellung, dass Jesu Leiden und sein Tod Gott in seiner Gerechtigkeit befriedigte und er ihn sogar noch verlassen haben soll, kommt dieser heidnischen Praxis mit ihrem Gedankengut nahe.

3.3 Warum hat Jesus gelitten?

Wenn Gott in Jesu Leiden immer mit ihm war, warum hat er das Leid dann überhaupt zugelassen? Warum war es Gottes Wille? Der Tod Jesu wird in der Bibel als Konsequenz der Bosheit der Menschen und Ablehnung seines Rufes zur Umkehr gesehen (Johannes 1,10–11; Matthäus 21,33–41). In der gefallenen Welt ist es nicht möglich in der Wahrheit zu leben, ohne Leid zu erfahren (2. Timotheus 3,12).

Gott wäre stark genug gewesen, Jesus vor aller Bosheit der Menschen zu bewahren, aber er wusste, dass das für uns nicht das Beste gewesen wäre. Eine böse Absicht (Jesus zu töten) kann niemals etwas Gutes hervorbringen (Erlösung), sondern die Antwort Jesu – wie er sein Leiden und seinen Tod getragen hat – eröffnet uns den Weg zurück zu Gott.

In seinem Leid ertrug er einen sehr schweren Kampf. Er mied diesen Kampf nicht, sondern Gott gab ihm durch Demut und Gebet die Kraft, ihn zu bestehen.

Der hat in den Tagen seines Fleisches sowohl Bitten als auch Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod retten kann, und ist um seiner Gottesfurcht willen erhört worden, und lernte, obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam; und vollendet ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden (Hebräer 5,7–9)

Durch seine Auferstehung und Verherrlichung hilft uns Jesus nun, die gleiche Gesinnung in unseren Kämpfen zu haben – unsere Schwachheiten anzunehmen und mit seiner Hilfe fähig zu sein, sie zu tragen.

denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht worden ist, kann er denen helfen, die versucht werden. (Hebräer 2,18)

Als Christen erfahren wir auch manchmal Leid, aber mit seiner Hilfe wird das Leid nicht zu einer unerträglichen Last. Die Tatsache, dass Jesus so viel erlitten hat und alle Schwierigkeiten überwunden hat, ist ein Trost für uns und stärkt unser Vertrauen zu ihm – das Vertrauen, dass er immer mit uns ist – auch in den schwierigsten Situationen. Er lädt uns ein:

Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und „ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,28–30)

Im Neuen Testament gibt es viele Stellen, die ausdrücken, dass Christen zusammen mit Christus sterben (Matthäus 16,24; Johannes 12,24–26; Römer 6,3–4; Galater 5,24; Philipper 3,10; Kolosser 2,12).

… ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben, und zwar im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.  (Galater 2,19–20)

Der Tod Jesu war nicht vergebens. Der gekreuzigte und auferstandene Christus hilft uns,  unseren Sünden und weltlichen Zielen zu sterben und ein neues Leben erfüllt von Freude leben zu können, das uns niemand mehr nehmen kann.

Und als sie ihnen viele Schläge gegeben hatten, warfen sie sie ins Gefängnis und befahlen dem Kerkermeister, sie sicher zu verwahren. Dieser warf sie, als er solchen Befehl empfangen hatte, in das innere Gefängnis und befestigte ihre Füße im Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobsangen Gott; und die Gefangenen hörten ihnen zu. (Apostelgeschichte 16,23–25)

Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir zu diesem Urteil gekommen sind, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und für alle ist er gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist. (2. Korinther 5,14–15)

Mehr über Jesu Tod ist unter dem Thema „Jesu Tod für uns – ein Opfer“ zu finden.

4 Als gerecht gesehen oder gerecht gemacht?

Am Anfang des vorhergehenden 3. Abschnittes „Hat Gott Jesus verlassen?“ beschrieben wir kurz das Erlösungsverständnis, wie es manche Persönlichkeiten, die auf die Geschichte bedeutenden Einfluss genommen haben, vertraten. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass dieses Denken heutzutage viele Menschen beeinflusst und ihr Verständnis von Gott und von der Bekehrung formt. Wenn Jesus aufgrund eines göttlichen Prinzips von „Gerechtigkeit“, das Strafe verlangt, gelitten hätte, gestorben und von Gott getrennt worden wäre, dann würde der Auftrag Jesu darin bestanden haben, in Gott etwas zu bewirken, nämlich, dass Gott uns nun anders sieht und behandelt, nicht aber, dass er uns zu einer wirklichen Änderung in unserem Leben führen würde.12 Anders ausgedrückt, die Konsequenz der Erlösung wäre nicht, dass wir gerecht gemacht werden, sondern wir nur als gerecht gesehen werden, wie wenn Gott uns nun durch eine andere Brille anschauen würde.

Die Bibel jedenfalls gibt uns Zeugnis von einer wirklich sichtbaren Lebensänderung durch die Erlösung, die uns Jesus brachte. Als Christen können wir nicht in gravierenden Sünden verhaftet bleiben:

Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Irrt euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habsüchtige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes erben. Und das sind manche von euch gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. (1. Korinther 6,9–11)

Jesus ist nicht gekommen, uns „in unseren Sünden“ zu erlösen, sondern „von unseren Sünden“ (Matthäus 1,21). Er möchte nicht nur unsere Taten reinigen, sondern auch unsere Gedanken und Motive, so dass wir ein Leben in Liebe und Hingabe leben können.

Die nun sein Wort aufnahmen, ließen sich taufen; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan. Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten. Es kam aber über jede Seele Furcht, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle Gläubig gewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war. Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber tat täglich hinzu, die gerettet werden sollten. (Apostelgeschichte 2,41–47)

Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Darin ist unter uns die Liebe vollendet, dass wir am Tag des Gerichts Zuversicht haben. Denn wie er, so sind auch wir in dieser Welt. (1. Johannes 4,16–17 Einheitsübersetzung)

Ohne eine tiefe Lebensänderung und ohne Liebe können wir keine wirkliche Zuversicht auf das ewige Leben haben. Die Quelle unserer Zuversicht ist nicht unser eigenes Werk, sondern unsere Beziehung zu Christus.13 Wenn wir nicht gerecht leben, können wir weder eine Beziehung zu ihm haben noch sie aufrechterhalten.

Und jetzt, meine Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er erscheint, die Zuversicht haben und bei seinem Kommen nicht zu unserer Schande von ihm gerichtet werden. Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, erkennt auch, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, von Gott stammt. (1. Johannes 2,28–29 Einheitsübersetzung)

Jesus sagte:

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun. Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt; und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen. (Johannes 15,5–7)

Jesus beschreibt die Beziehung zu ihm mit den Worten „in mir zu bleiben“. In Christus zu sein, heißt erlöst zu sein. Nicht in ihm zu sein bedeutet, hinausgeworfen zu werden und „zu verbrennen“. In ähnlicher Weise schreibt der Apostel Johannes:

Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von jeder Sünde. (1. Johannes 1,6–7)

Eine aufrichtige Beziehung zu Jesus, durch die wir gereinigt werden, ist nur möglich, wenn wir im Licht wandeln. Im Licht zu leben heißt nicht sündlos zu sein, sondern in allen Bereichen unseres Lebens nach Heiligung zu streben, unsere Sünden Gott und einander zu bekennen und uns von ihnen abzukehren. Das sind die unentbehrlichen Auswirkungen der Erlösung in unserem Leben. Erlösung ist eine unverdiente Gabe, die in Christus grundgelegt wurde. Wenn wir sie annehmen, können wir nicht unser altes, böses Leben fortsetzen, weil es die Gemeinschaft mit ihm – und in ihm zu sein – unmöglich machen würde.

Aus ihm aber kommt es, dass ihr in Christus Jesus seid, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung (1. Korinther 1,30)

Jesus ist vom Tod auferstanden und setzt seine Mittlerschaft fort. Jeder, der sich Gott durch ihn nahen möchte, wird alles erhalten, was er braucht, um sein Leben ändern, darin auszuharren, und ans Ziel zu gelangen.

5 Schlussfolgerung

Die Bibel sagt uns immer wieder und auf verschiedene Weise, dass Jesus gestorben ist, um uns zu erlösen. Wie wir bereits gezeigt haben, ist aber das weitverbreitete Verständnis, dass Gott einen Unschuldigen an unserer Stelle bestrafen musste, um uns ohne Beeinträchtigung seiner Gerechtigkeit vergeben zu können, keine Lehre der Heiligen Schrift und wirft ernsthafte Probleme auf. Stattdessen,

  • zeugt die Bibel von einem liebenden Gott, der reichlich jedem vergeben möchte, der wirklich bereut.
  • Die Bibel lehrt nicht, dass Jesus vom Vater geistlich getrennt war, sondern beschreibt die Drangsal, die er als Konsequenz der Sünden der Menschen tragen musste.
  • Und zu guter Letzt ist die Erlösung nicht etwas, das Jesus zwischen sich und Gott ausmachte. Sie ist viel direkter mit unserem eigenen Leben verbunden.

Das Zentrum der biblischen Botschaft ist die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Mensch und Gott, die aufgrund der vom Menschen begangenen Sünden gebrochen wurde. Indem Gott uns in Jesus nahe kommt, macht er uns fähig, dass wir ihm nahen können.

Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, nämlich dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete … (2. Korinther 5,18–19)

Durch die Menschwerdung nahm Jesus unsere Natur an. Er wurde uns gleich in unseren Schwächen, Versuchungen und Drangsalen. Er identifiziert sich mit unserer Schwachheit. Das bedeutet, dass er auch das Leiden und die Kreuzigung auf sich nahm, als er von denen abgelehnt wurde, denen er helfen wollte.

Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit führte, den Urheber ihrer Rettung durch Leiden vollkommen zu machen. (Hebräer 2,10)

Jetzt lädt er uns ein, den gleichen Weg mit ihm zu gehen, den auch er nahm: die Schwachheiten unserer vergänglichen Menschennatur anzunehmen, doch durch Glauben, Liebe und Demut stark zu sein. Er, der vom Tod auferstand und mit dem Vater verherrlicht ist, vereint uns mit Gott und schenkt uns Vergebung und alles, was wir brauchen, um in Ewigkeit mit ihm zu sein.

Es gäbe noch vieles dazu zu sagen, was aber den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Wir wären dankbar, deine Gedanken und Fragen dazu zu erfahren, und würden uns freuen, wenn wir die Möglichkeit hätten, mit dir darüber tiefer persönlich ins Gespräch zu kommen.

Zurück zum Seitenanfang ↑


Fußnoten:
  1. Das Hebräischwörterbuch (Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament von Ludwig Koehler und Walter Baumgartner, Dritte Auflage, Band II, Leiden Boston 2004; S. 941; Unterpunkte zu Punkt 6) gibt uns 4 Bedeutungen an, wenn es darum geht, dass Gott (יְהוָהJahwe)  gerecht (צַדִּיקzaddiq, das Adjektiv zu zedaqah) ist:
    1. gerecht (richtend / strafend) – Psalm 7,12; 129,4; Hiob 34,17
    2. gerecht (Recht stiftend oder setzend) – Zefania 3,5; Psalm 119,137
    3. gerecht (im Recht gegenüber Anschuldigungen) – 2. Mose 9,27; Jeremia 12,1; Klagelieder 1,18; Daniel 9,14; Nehemia 9,33; 2. Chronik 12,6
    4. gerecht (in der Bedeutung hilfreich, treu) – 5. Mose 32,4; Jesaja 45,21; Psalm 11,7; Psalm 116,5 (parallel mit gnädig: חַנּוּןchannun), Psalm 145,17 (parallel mit gütig: חָסִידchasid), Esra 9,15; Nehemia 9,8. 
  2. Psalm 24,5; 33,5; 103,6; Jesaja 1,27; 28,17; 56,1; 59,16 (wie auch in Daniel 9,16 in der Theodotion‐Übersetzung aus ca. 200 n. Chr.). 
  3. 1. Mose 24,27; 32,10; 2. Mose 15,13; 34,7; Jesaja 63,7. 
  4. Einige Gelehrte (z. B. McGrath, Alister E. Iustitia Dei: A History of the Christian Doctrine of Justification. Cambridge, 2002, 1–16.; Goppelt, Leonhard. Theologie des Neuen Testaments. [Teil 2, Vielfalt und Einheit des apostolischen Christuszeugnisses]. Göttingen, 1980, 465–471.; Buber, Martin. Zur Verdeutschung des letzten Bandes der Schrift, Abschnitt 1, 5–6. Beilage zu: Die Schrift. Stuttgart, 1992, Band 4) sind der Ansicht, dass in der hebräischen Kultur der biblische Begriff „Gerechtigkeit“ (und andere Schlüsselbegriffe wie „Gnade“ oder „Opfer“) weitgehend im Zusammenhang der Beziehung zu Gott, (d. h. des Bundes) verstanden wurde. Aus diesem Grund war für die jüdischen Schreiber die Bedeutung von Wörtern wie „Gerechtigkeit“, „Treue“, „Barmherzigkeit“ und „Gnade“ eng miteinander verbunden. Sie drückten unterschiedliche Aspekte der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen aus. Die griechische und römische Kultur, in deren Sprache die Bibel übersetzt wurde, waren nicht von diesem Konzept einer Beziehung zu Gott geprägt. Für die Griechen war die Gesellschaft der Maßstab, nach dem beurteilt wurde, was gerecht und ungerecht ist. Für die Römer war es das Gesetz. Dieser Umstand machte es ziemlich schwer, eine griechische bzw. lateinische Entsprechung für das hebräische zedaqah (צְדָקָה– “Gerechtigkeit”) zu finden.
    In den ersten beiden Jahrhunderten des Christentums war Griechisch die Sprache der Kirche und es wurde die von Juden erstellte griechische Übersetzung des Alten Testaments verwendet. Ab dem zweiten Jahrhundert begann die Kirche im Westteil des Römischen Reiches mehr und mehr die lateinische Sprache zu verwenden, und so wurde die Bibel auch auf Latein übersetzt. Die Ausdrücke „Gerechtigkeit“ oder „(jemanden) gerecht machen“ wurden ins Lateinische mit iustitia und iustificare übersetzt. Beide Ausdrücke kommen aus der Rechtssprechung und sind von daher geprägt.
    Das Denken vieler lateinischer Kirchenväter war durch juridisches Denken geprägt, das die Grundlage der römischen Bildung darstellte. Im Lauf der Jahrhunderte wurde im Westen das Bild einer Gerichtsverhandlung das zentrale Bild, mit dem die Erlösung erklärt wurde. Die Sünde wurde mit einem Verbrechen verglichen, der Sünder mit dem schuldigen Täter, Gnade mit dem Freispruch des Täters, Gerechtigkeit mit der Bestrafung des Schuldigen.
    In diesem Zusammenhang wurde dem Tod Jesu am Kreuz im westlichen Denken letztlich eine Funktion zugeschrieben, die im Osten unbekannt war.
    Griechische Kirchenväter waren von diesem Denken nicht beeinflußt und haben eine nicht juridische Sicht der Erlösung bewahrt und erklärten sie als eine Begegnung mit Gott, der unsere menschliche Natur annahm, damit wir in seine Ähnlichkeit verwandelt werden. In dieser Sichtweise sind die Menschwerdung und die Auferstehung die Schlüsselelemente. So verstanden etwa Irenäus und Athanasius von Alexandrien die in Christus geschenkte Erlösung als durch seine Menschwerdung wirksam geworden. Die Kreuzigung ist dabei ein integraler Teil der Menschwerdung (Irenäus, Gegen die Häresien III,18; Athanasius, Über die Menschwerdung des Logos). 
  5. 2. Korinther 1,3. 
  6. Gottes Treue bedeutet jedoch nicht, dass er immer vergibt.
    Es gibt auch zahlreiche Beispiele im Alten Testament, in denen Gott nicht vergab. Über den gottesfürchtigen König Josija lesen wir:
    Vor Josia gab es keinen König wie ihn, der zu dem HERRN umgekehrt wäre mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft nach dem ganzen Gesetz des Mose. Und auch nach ihm ist seinesgleichen nicht aufgestanden. Doch kehrte sich der HERR nicht ab von der großen Glut seines Zornes, mit der sein Zorn gegen Juda entbrannt war, wegen all der Kränkungen, mit denen Manasse ihn gekränkt hatte. (2. Könige 23,25–26)
    Der Grund dafür, dass die Gerechtigkeit des Königs nicht den Zorn Gottes wegnehmen konnte war der, dass trotz seines Gehorsams das Herz des Volkes sich nicht zu Gott bekehrte. Über die gleiche Zeit lesen wir in Jeremia:
    Und selbst bei alldem ist ihre Schwester Juda, die Treulose, nicht mit ihrem ganzen Herzen zu mir zurückgekehrt, sondern nur zum Schein, spricht der HERR. (Jeremia 3,10). 
  7. Vergleiche dazu, was das Bibelwerk zum Thema Gerechtigkeit schreibt: Der hebräische Begriff zedaka / Gerechtigkeit bezeichnet nicht die Übereinstimmung mit einer abstrakten Norm, sondern ein an der Gemeinschaft orientiertes Handeln, das Tun der Gerechtigkeit. So besteht die Gerechtigkeit zwischen Gott und seinem Volk in der Treue zum  Bund: Gott erweist seine Gerechtigkeit, indem er seinem Volk hilft und es aus Gefahr rettet (Ps 40,11; 71,2.15; 85,14 u.ö.). Menschen werden der Beziehung zu Gott gerecht, wenn sie seine Gebote halten (Dtn 6,25) und seinem Wort Vertrauen schenken (Gen 15,6). 
  8. 1 Talent = 6 000 Denare; 1 Denar = 1 Tageslohn. 
  9. Luther, Martin, Epistel‐Auslegung, Bd. 4, Der Galaterbrief, Hg. Hermann Kleinknecht, Göttingen, 2. Auflage 1987, S. 168. 
  10. Calvin schrieb in der Institutio: “Aber der Widerstreit zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist unaufhörlich und unversöhnlich …” Institutio II,XVI,3. “Es war ja nicht damit getan, dass Christus bloß den leiblichen Tod gelitten hat, nein, er musste auch wirklich die ganze Härte des göttlichen Gerichts empfinden, um seinen Zorn abzuwenden und seinem gerechten Urteil genugzutun.” (Institutio II, XVI,10; vergleiche II,XII,3.). 
  11. Jesaja 53,10 “Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen.” (Elberfelder) wird in der Einheitsübersetzung so wiedergegeben: “Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht).” Diese Übersetzung zeigt die geistliche Wirklichkeit. Der Knecht war bereit, zerschlagen zu werden. Gott fand Gefallen an dieser Gesinnung der Liebe und Hingabe. Das wird auch durch die folgenden Verse bestätigt: “Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet, und ich, ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen. Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.” (Jesaja 50,5–6; Elberfelder). 
  12. Einige protestantische Bewegungen vertreten die Ansichten Luthers dazu: Ein christlich Wesen besteht nicht im äußerlichem Wandel; es wandelt auch den Menschen nicht nach dem äußerlichen Stande, sondern nach dem innerlichen, d.h., es gibt ein andres Herz, einen andren Mut, Willen und Sinn, welcher dieselben Werke tut, die ein anderer ohne solchen Mut und Willen tut. Denn ein Christ weiß, dass es ganz am Glauben liegt. Darum gehet, stehet, isset, trinket, kleidet, wirket und wandelt er wie sonst ein gemeiner Mann in seinem Stande, dass man nicht seines Christentums gewahr wird, wie Christus Luk. 17,20f saget: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Weihnachtspostille 1522: Luther Deutsch, Erg​.Bd. Lutherlexikon, S. 57 f., vgl. WA 10I1,137,18–138,5). 
  13. Siehe auch „Glaube und Werke“.